Mittelniederdeutsch (1150-1650).

Ebenso wie das hd. Gebiet hat sich auch das nd. stark vergrößert. Im Nordwesten wird allmählich das Friesische verdrängt, und durch die Ostkolonisation entstehen die ostniederdeutschen Mundarten. Im 14. und 15. Jh. ist das Mnd. Geschäfts- und Schriftsprache im ganzen Hansegebiet - von Bergen in Norwegen bis Livland - auch in Städten, wo sonst nicht Nd. gesprochen wird. Sogar aus Nowgorod und London gibt es mnd. Urkunden.

An den nd. Höfen ist die mhd. Sprache Mode, und die niederdeutschen höfischritterlichen Dichter schreiben deshalb meist ihre Werke in einem - nicht immer guten - Mhd. Die Bevölkerung hält aber am Nd. fest, und um eine effektive Verwaltung - bes. in den neuen Territorien - aufbauen zu können, sind die Fürsten darauf angewiesen, sich auf nd. zu verständigen. Die Kanzleien der heranwachsenden Städte gehen auch seit Anfang des 13. Jh. zum Nd. über, um die geschäftlichen und politischen Beziehungen der Bürger zur Obrigkeit zu erleichtern.

Die nd. Prosa hat sich früher als die hd. entwickelt. Das erste bedeutende historische Werk in deutscher Sprache ist die Sächsische Weltchronik (13. Jh.). Eike von Repgow in Ostfalen wird durch seinen Sachsenspiegel (um 1224; Spiegel bedeutet hier 'Regelbuch') auch als Begründer der juristischen Prosa angesehen. Der Sachsenspiegel wurde nicht nur auf nd. Gebiet benutzt: In Thüringen und im Kurfürstentum Sachsen (ostmitteldeutsch) galt er trotz der schwerverständlichen Sprache bis ins 19. Jh. als Gemeines ('allgemeines') Sachsenrecht.

Nachdem die Stadt Lübeck 1143 auf wendischem Gebiet gegründet worden war, entstand dort aus den verschiedenen deutschen Mundarten der Neubürger eine koloniale Ausgleichsprache. Lübeck wurde das Oberhaupt der im 13. Jh. gegründeten Hanse, und in der Mitte des 14. Jh., hat sich die lübische Ausgleichsprache durch die Autorität der Hanse als Verkehrssprache im ganzen norddeutschen Raum durchgesetzt. Eine wichtige Rolle spielte dabei das Lübecker Stadtrecht, das im 13. Jh. aus dem Lat. ins Nd. übersetzt wurde.

Deutschsprachige Hansestädte waren zu dieser Zeit u.a. Visby (das auch ein mnd. Stadtrecht hatte) und die baltischen Städte Riga, Reval und Dorpat. In vielen anderen Städten in den Niederlanden, in Skandinavien und England hatte die Hanse Niederlassungen, sog. Kontore. Überall galt hier die mnd. Schriftsprache.

Nach Erfindung des Buchdrucks wurden in Lübeck viele nd. Bücher gedruckt , sowohl belehrende als auch unterhaltende Literatur .Besonders bekannt sind die Lübecker Bibel (1494) und Reynke de Vos (Reineke der Fuchs, 1498), eine Satire auf die damalige Gesellschaft.

Sprachliche Ausstrahlung des Mittelniederdeutschen. Weder früher noch später hat das Deutsche andere Sprachen so stark beeinflußt wie das Mnd. die nordischen Sprachen. Manche Nordisten sind der Ansicht, daß fast die Hälfte des gesamten schwed. Wortschatzes in der einen oder anderen Hinsicht niederdeutscher Herkunft sei.

Der nd. Einfluß entstand durch die wirtschaftlichen Beziehungen zur Hanse, die vielen deutschen Einwanderer (Anfang des 14. Jh. waren die deutschen Stadträte in Stockholm in der Mehrzahl) und Übersetzungen niederdeutscher Literatur.

Der nd. Einfluß auf das Hd. ist dagegen nicht sehr groß gewesen. Einige Wörter sind aus der mnd. Rechtssprache übernommen (echt, Geruch andere aus der Kaufmannssprache (Fracht, Gilde, Stapel) und der Seemannssprache (Ebbe, Hafen, schleppen, Teer).

In einzelnen Fällen haben die nd. Wörter bei der Aufnahme ins Hd. auch eine hd. Lautform angenommen: hopen > hoffen.

 

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