Lektion 8

Vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen

Frühneuhochdeutsch (1350-1650). Einführung und kurze Charakteristik. Wenn das Ahd. hauptsächlich durch den geistlichen Stand vermittelt wird, in der Form verschiedener Mundarten, und das Mhd., im wesentlichen als die einem Ideal nachstrebende oberdeutsch gefärbte Sprache des höfischen Ritterums gilt, dann ist das Fnhd. in erster Linie von den Sprachen der Städte geprägt.

Etwa um die Mitte des 14. Jh. setzt die lange Entwicklung zur deutschen Standardsprache ein, von einer Vielfalt an Schreibdialekten über einige große überlandschaftliche Schreibsprachen hin zu einer gemeinsamen Schriftsprache auf ostmitteldeutscher Grundlage. Mehrere Faktoren haben zu dieser Entwicklung beigetragen wie der Einfluß der großen Kanzleien, Handelsinteressen, die Erfindung des Buchdrucks und die damit verbundene Wirkung des gedruckten Wortes. Wichtig war auch die Tatsache, daß es auf verschiedenen Sachgebieten mehr deutsche Texte zu lesen gab und daß mehr Leute lesen konnten. Schließlich hat Martin Luther, bes. durch seine Bibelübersetzung, eine große Rolle gespielt.

Das Fnhd. ist die Sprache einer Übergangszeit. Es gibt keine Einheitlichkeit, weder in der Orthographie noch in der Flexion und Syntax, sondern mehrere Varianten existieren oft nebeneinander, sogar im selben Text. Im Wortschatz gibt es teils regionale, teils sozial bedingte Unterschiede.

Vom Mhd. unterscheidet sich das Fnhd. vor allem durch die Ausspracheveränderungen der Vokale: die fnhd. Diphthongierung, die md. Monophthongierung und die Vokaldehnung.

 

Die Hauptcharakteristiken der deutschen nationalen Literatursprache. Das Hauptkennzeichen der deutschen nationalen Literatursprache ist seine gemeindeutsche Geltung, d.h. das Vorhandensein einer übermundartlichen, einheitlichen, im Rahmen der Literatursprache für alle Deutschsprechenden verbindlichen phonetischen, grammatischen, orthographischen und lexikalischen Sprachnorm.

Gegenüber den Territorialdialekten ist die nationale Literatursprache eine höhere Sprachform, die der gesamten Nation als Mittel der Verständigung dient. Die Territorialdialekte büßen mit der Herausbildung der gemeindeutschen nationalen Literatursprache ihre ehemalige vorherrschende Stellung im sprachlichen Verkehr ein und sinken zu einer untergeordneten, im Rückgang begriffenen Sprachform herab.

Die gemeindeutsche nationale Literatursprache ist wie alle Existenzformen der Sprache eine historische Kategorie. Ihre Herausbildung ist mit der Entwicklung der deutschen Nation verbunden, die in der frühneuhochdeutschen Zeit, d.h. in der Übergangszeit vom Spätfeudalismus (bis um 1470) zum frühen Kapitalismus, beginnt und in der neuhochdeutschen Zeit abgeschlossen wird.

 

Kulturgeschichtliche Entwicklung. Um 1350 ist die Ostkolonisation abgeschlossen, und die östliche Sprachgrenze des Deutschen bleibt dann mit kleineren Veränderungen bis 1945 bestehen.

Zu Beginn der fnhd. Zeit hatte sich auch die feudale agrarische Gesellschaftsordnung des Mittelalters durch das Aufkommen der Städte gewandelt. Die Bürger darf man nicht als einheitliche soziale Gruppe sehen. Es gab mehrere soziale Schichten wie reiche Patrizier, z.T. adeliger Herkunft, Handwerker, Gesellen und Tagelöhner.

Um 1400, als die deutschsprachige Bevölkerung nach den großen Seuchen wieder auf etwa 11 Mill. angewachsen war, gab es über 1100 Städte - oder eher kleine Städtchen (Die größten waren Köln, Straßburg, Nürnberg, Ulm, Frankfurt a.M., Zürich, Augsburg. Noch um 1500 hatte Köln jedoch erst 30000 Einwohner.) Die Städte waren Zentren für Verwaltung (die Kanzleien), Bildung und Kultur. Vor 1400 waren schon fünf Universitäten gegründet worden (Prag 1348, Wien 1365, Heidelberg 1386, Köln 1388, Erfurt 1392) und bis 1500 noch weitere acht, an denen die „freien Künste“ Jurisprudenz, Medizin und Theologie gelehrt wurden. Die städtischen Elementarschulen sorgten für Schreibunterricht und schufen auch ein neues Lesepublikum, die Mittelschicht (Auch das Vorlesen spielte eine Rolle.). Die Bildung blieb nicht mehr nur der dünnen Oberschicht vorbehalten. 90% der Bevölkerung waren jedoch immer noch Analphabeten, arbeiteten durchschnittlich 14 Stunden pro Tag und hatten wenig Zeit, sich zu bilden.

Nach dem Tod Friedrichs II. 1250 war das alte Reichsgebiet nach und nach in Einzelterritorien zerfallen, aus denen im Laufe der Zeit durch Erbteilung oft noch kleinere Fürstentümer entstanden. Die Versuche der späteren Kaiser, eine wirtschaftliche und politische Einheit zu schaffen, blieben erfolglos; die Einzelstaaten und die Reichsstädte wurden immer selbständiger, was die Entwicklung einer deutschen Nationalsprache verzögerte. Jedes Land hielt im allgemeinen an seinen Sprachgewohnheiten fest. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, daß die Mundartengrenzen unseres Jahrhunderts weitgehend mit diesen ehemaligen Territorialgrenzen übereinstimmen.

Die Reformation (Luthers Thesen 1517), die gescheiterte Bauernrevolution (1523 - 25) und die Gegenreformation prägen das 16. Jh. Die Aufteilung in drei politisch-religiöse Lager (Lutheraner, Calvinisten und Katholiken) führte auch zu einer kulturellen Spaltung. Die Landesfürsten der Kleinststaaten konnten ihre Macht noch weiter ausbauen, nicht zuletzt durch den Augsburger Religionsfrieden 1555, der den Landesherrn den Glauben der Untertanen bestimmen ließ, nach dem Prinzip cuius regio eius religio (Wessen das Land, dessen die Religion).

Anfang des 17. Jh. verschärften sich die machtpolitischen und religiösen Gegensätze und führten schließlich zum 30-jährigen Krieg. Beim Friedensschluß 1648 war die Bevölkerungszahl von knapp 26 Mill. auf weniger als 15 Mill. zurückgegangen (prozentual waren viermal mehr Deutsche ums Leben gekommen als im 2. Weltkrieg!). Man könnte auch hier von einer Stunde Null sprechen, denn zahlreiche Städte und Dörfer waren verwüstet, und die Armut der Landbevölkerung und der städtischen Mittel- und Unterschicht war katastrophal.

Beginn der sprachlichen Einigung

Germania tot habet dialectos, ut in triginta miliaribus homines se mutuo non intelligant. Austri et Bavari nullas servant diphthongos, dicunt enim e ur,ft ur, bro edt pro feuer, euer, brodt. Ita Francones unisona et crassa voce loquuntur, quod Saxones praecipue Antverpiensium linguam non intelligunt. ... die Oberlendische sprache ist nichl die rechte Teutzsche sprache, habet enim maximos hiatus et sonitus, sed Saxo nica lingua est facillima, fere pressis labiis pronunciatur.

Deutschland hat so viele Dialekte, daß die Leute in einem Abstand von 30 Meilen einander nicht verstehen. Die Österreicher und Bayern behalten keine Diphtonge, denn sie sagen e-ur, fe-ur, bro-edt für feuer, euer, brodt. Die Franken reden so eintönig und dick, daß die Sachsen besonders die Sprache in Antwerpen nicht verstehen... ,.die Oberlendische Sprache ist nicht die rechte Teutzsche sprache, denn sie hat sehr offene und starke Laute, aber die sächsische Sprache ist sehr leicht, sie wird mit fast zusammengepreßten Lippen ausgesprochen.

(Aus Luthers Tischreden)

 

Die Bedeutung der Kanzleien. In den vielen neueingerichteten Kanzleien der Städte und der Territorialstaaten hatten sich lokale Schreibtraditionen entwickelt. Diese geschriebene Sprache entfernt sich allmählich von der gesprochenen, weil sie z.B. manche Archaismen bewahrt und bestimmte Konstruktionen vom Latein übernimmt.

In den größeren landesfürstlichen und städtischen Kanzleien versucht man bewußt, ausgesprochen lokale Mundartmerkmale zu vermeiden. Der regionale Charakter der Sprache läßt sich jedoch immer noch erkennen.

Das Streben nach verwaltungs- und verkehrmäßiger Vereinheitlichung zwischen Dialekten führt im 14. Jh. in Städten mit weiten Handelsverbindurigen wie Nürnberg, Regensburg und Eger (im damaligen Böhmen) zu den ersten sog. überregionalen Kanzleisprachen. Ebenso muß sich die gerade vom Lateinischen zum Deutschen übergegangene kaiserliche Kanzlei darum bemühen, überall verstanden zu werden. (In den Jahren 1346 - 1438 befand sie sich in Prag und wurde dann nach Wien verlegt.). So schrieb man z.B. in der kaiserlichen Kanzlei nicht die mhd. Diphthonge, obwohl sie in Wien gesprochen wurden, sondern z.B. gut, hüten statt guot, hüeten. Schließlich weist auch die thüringisch-sächsische Kanzlei der Wettiner Fürsten im neubesiedelten Osten einen solchen überlandschaftlichen Charakter auf.

Im 15. Jh. wirken besonders die beiden letzteren Kanzleisprachen als Vorbilder, d.h. die Sprache der Kaiserlichen Kanzlei in Wien und die der Meißner Kanzlei in Sachsen. Auch die großen Stadtkanzleien, z.B. von Augsburg, Leipzig und besonders Nürnberg tragen nun dazu bei, daß die Schreibsprachen verschiedener Gegenden einander näher kommen.

 

Papier und Buchdruck. Nachdem man Ende des 14. Jh. vom Pergament zu dem billigeren Papier übergegangen war, stieg die Zahl der Handschriften, die nun oft in größeren Werkstätten „fabrikmäßig“ hergestellt wurden und auch für das städtische Bürgertum erschwinglich waren. Ein Schreiber brauchte jedoch - nach neueren Berechnungen - zwei Jahre, um die Bibel abzuschreiben.

Nach der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern (Johannes Gutenberg, um 1440) dauerte es fast 50 Jahre, bis eine verbesserte Technik und die Gründung neuer Druckereien die Buchpreise senkten. Dann aber stiegen die Auflagen rasch.

Die ersten in Deutschland gedruckten Bücher sind in lateinischer Sprache, und die lateinischen Drucke überwiegen auch während der ganzen fnhd. Zeit. Um 1500 liegen etwa 80 deutsche Drucke vor. Die ältesten deutschen Drucke sind noch stark mundartlich gefärbt. Vom 16. Jh. an bemüht man sich aber auch, in anderen Mundartgebieten Käufer zu finden. Besondere Korrektoren beseitigen allzu dialektale Lautformen und Ausdrücke und „verbessern“ die Syntax. Man lehnt sich hier an die größeren Kanzleisprachen an, ohne immer ihren Stil nachzuahmen. So entstehen verschiedene deutsche Druckersprachen, anfangs sogar mehr als eine in manchen Städten (bekannt sind z.B. Augsburg, Wien, Nürnberg, Wittenberg, Frankfurt, Straßburg, Basel).

Der Einfluß des Gedruckten ist natürlich groß, was allmählich zu einer gewissen Vereinheitlichung der Orthographie und der Sprachformen beiträgt. Man darf aber nicht vergessen, daß es noch keine normierende Grammatik oder übergreifende politische Instanz gab, die die Sprachentwicklung beeinflussen konnten. Ende des 16. Jh. folgen die Buchdrucker - mit Ausnahme der Kölner und Schweizer - dem Schreibgebrauch entweder des Ostmitteldeutschen oder des sog. Gemeinen Deutsch, und die Unterschiede zwischen den beiden „Sprachen“ sind nicht mehr allzu groß.

 

Die großen Schreibsprachen. Um 1500 haben sich fünf größere durch die Kanzleien und die Buchdrucker geprägte Schreibsprachen auf deutschem Gebiet entwickelt. Sie unterscheiden sich voneinander durch orthographische bzw. lautliche Besonderheiten, hauptsächlich in der nicht einheitlichen Durchführung der 2. Lautverschiebung (nd./hd.), der neuen Diphthonge (dütsch/teutsch) und der Apokope (Red/Rede). Es gibt aber auch regionale Verschiedenheiten in der Grammatik (z.B. für das Part. Prät. von sein: gewesen/gewest/gesein und im Wortschatz (waschen/zwagen; michel/groß). Viele Inkonsequenzen und Doppelformen kommen vor, da ja noch keine Normierung existiert. Die fünf großen Schreibsprachen sind:

Die mittelniederdeutsche Schreibsprache.

Die Kölner Schreibsprache bewahrte eine Zeitlang ihre lokalen Züge. Die Kölner hatten rege Handelsverbindungen mit den Niederlanden, was wohl erklärt, daß die Kölner Schreibsprache an die niederländische anknüpfte.

Die ostmitteldeutsche Schreibsprache: In den Städten des neubesiedelten omd. Gebiets hatte sich durch Ausgleich der verschiedenen Siedlermundarten eine relativ einheitliche Verkehrssprache ausgebildet, die Grundlage für das dort geschriebene Deutsch wurde, sowohl für die Literatur - wie auch für die Kanzleisprache, die Sprache der sächsischen Kanzlei.

Dieses geschriebene Deutsch wurde wiederum von den Schreibtraditionen der Nachbargebiete beeinflußt. So richtete man sich, z.B. was die 2. Lautverschiebung betrifft, nach dem obd. Gebrauch und schrieb Apfel statt md. Appel. Allerdings wirkte dann auch die omd. Tradition auf die südöstliche ein, so daß allmählich eine Wechselwirkung stattfand.

Die südöstliche Schreibsprache (Das Gemeine Deuisch): unterstützt von der Autorität der kaiserlich-habsburgischen Kanzlei in Wien und dem Einfluß der obd. Druckereien wurde das Gemeine Deutsch (gemein 'allgemein') mit gewissen lokalen Abweichungen in Österreich, Bayern, Schwaben und im Elsaß weithin verwendet. Es ist eine überlandschaftliche Schreibsprache auf bairisch-österreichischer Grundlage. Charakteristisch ist z.B. daß die Apokope des -e häufiger auftritt als in den omd. Texten: das Aug, die Füß, ich hab, er het (hätte) und daß Unterschiede im Wortschatz vorhanden sind.

Die südwestliche Schreibsprache hält lange an ihren alemannischen Besonderheiten fest, was durch die wachsende politische und wirtschaftliche selbständigkeit der Schweizer Städte bedingt ist. Auch die religiöse Unabhängigkeit (Calvinismus) trägt dazu bei.

Zu Beginn des 16. Jh. sieht es so aus, als ob das Gemeine Deutsch die Stellung einer deutschen Gemeinsprache erreichen könnte. Durch Luthers sprachliche Tätigkeit und den Sieg der Reformation erlangt jedoch die omd. Schreibsprache großes Ansehen. Zuerst setzt sie sich im westmitteldeutschen Raum durch, und im Norden verdrängt sie bald das Niederdeutsche.

Die Gegenreformation bedient sich des Gemeinen Deutsch. Anfangs kämpft man intensiv gegen „lutherische“ Wörter und Formen (wie Setzung des im Obd. weggefallenen -e, z.B. Bube statt obd. Bub), aber am Ende der fnhd. Zeit sind die beiden großen Schreibsprachen nicht mehr so weit voneinander entfernt. Am konservativsten ist die Schweiz, wo sich die Diphthongierung erst nach 1650 in der Schriftsprache ganz durchsetzt. In der Schweizer Alltagssprache wird aber heute noch die Mundart verwendet (Schwyzerdütsch).

 

Luthers sprachliche Bedeutung. Luthers Rolle in der Entwicklungsgeschichte der deutschen Sprache ist nicht zu unterschätzen. Zwar ist er nicht der „Schöpfer des Neuhochdeutschen“, wie einst behauptet wurde, aber er hat sich einer bestimmten Schreibtradition, der ostmitteldeutschen, angeschlossen, hat diese vervollkommnet und sie durch seine Tätigkeit als Reformator zum Gemeingut und zum Vorbild machen können.

Schon in ahd. Zeit gab es Übersetzungen einzelner Bibelbücher. Die erste bekannte Übersetzung der ganzen Bibel entstand wahrscheinlich in der letzten Hälfte des 14. Jh.

Die erste gedruckte deutsche Bibel erschien 1466 bei Johannes Mentel in Straßburg. Vor Luther gab es 14 hd. Ausgaben der ganzen Bibel, 4 nd. und eine Menge Teilausgaben. Diese gehen alle auf die lat. Versio Vulgata zurück, während Luther den griechischen und hebräischen Urtext des Neuen bzw. Alten Testaments verwendete. Nach einer Schätzung kommt im Jahre 1500 ein Druck oder Teildruck der deutschen Bibel auf jeden 300. Deutschen, im Jahre 1546 ein Druck/Teildruck von Luthers Bibelübersetzung auf jeden 13. Deutschen! Die Katholische Kirche hatte Luthers Schriften verboten.

Luthers Übersetzung des Neuen Testaments 1522 hatte einen außerordentlichen Erfolg und wurde ins Niederländische, Niederdeutsche, Dänische und 1524 ins Schwedische übersetzt. Das Alte Testament erschien seit 1523 in fortlaufenden Teilen, und 1534 wurde in Wittenberg die ganze Bibel herausgegeben.

Nach Luthers Bibel werden die vorlutherischen Bibeln nicht mehr gedruckt. Auch seine konfessionellen Gegner nehmen seine Übersetzung an, indem Luthers Text mit kleineren Änderungen (und mit anderen Namen auf dem Titelblatt) einfach abgedruckt wird.

Luther arbeitete bis zu seinem Tod an der Bibelsprache, änderte und verbesserte, was an den verschiedenen Ausgaben erkennbar ist:

 

1523

 vnd Gott sahe das liecht fur gut an (1. Mos. 1, 4)

1534

 Vnd Gott sahe, das das Liecht gut war

 

1523

 das der bawm feyn war, dauon zu essen (1. Mos. 3, 6)

1534

 das von dem Bawm gut zu essen were

 

1523

 warumb sehet yhr heutte so ubel (1. Mos. 40, 7)

1534

 warumb seid jr heute so traurig

 

1522

 Vnd fieng an zu ertzittern vnd zu engsten (Mark. 14, 33)

1530

 Vnd fieng an zu zittern vnd zu zagen

 

Luther hatte eine seltene Sprachbegabung. Seine Sprache ist neu in dem Sinne, daß sie verschiedene Traditionen und Tendenzen vereinigt. Einerseits schließt er sich einer überlandschaftlichen Sprachform an und folgt, wie er selbst sagt, der Sprache der sächsischen Kanzlei, so daß ihn sowohl Ober- als auch Niederdeutsche verstehen können. Andererseits betrifft dies jedoch nur Rechtschreibung, Lautstand, (Diphthongierung/Monophthongierung), Formen und teilweise Wortwahl. Er übernimmt aber nicht den vom Latein abhängigen Satzbau und die Wortbildung der Kanzleisprache - und der früheren Bibelübersetzung -, sondern bemüht sich um einen klaren, verständlichen Stil. Hierbei lernte er viel von der gesprochenen Volkssprache: den einfachen Stil, den Gebrauch von einführenden Modalpartikeln (allein 'nur', ja, doch, denn, schon usw.) und die Vorliebe für eine bildhafte Ausdrucksweise mit Metaphern, Redensarten und Sprichwörtern, die man auch in der polemischen Literatur jener Zeit wiederfindet.

Luther legte selbst eine Sammlung von Sprichwörtern an, und manche seiner Formulierungen sind auch zu Sprichwörtern geworden (Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach).

Luthers Stil ist aber auch durchdacht; er verwendete geschickt die Stilmittel der Rhetorik wie Hervorhebung durch synonyme Ausdrücke, Steigerung, rhetorische Fragen usw.

Luthers Wortschatz war außergewöhnlich groß. Von seinem umfassenden Studium her kannte er u.a. die Rechtssprache und die Sprache der Mystiker, die ihn zu vielen neuen Wortbildungen inspirierte: Feuereifer, friedfertig, gastfrei, gottselig, Herzenslust, kleingläubig, lichterloh, Sündenangst usw.

Manche mitteldeutsche und niederdeutsche Wörter sind durch Luther in den nhd. Wortschatz aufgenommen worden. Anfangs mußten noch obd. Wortlisten zu seiner Bibelübersetzung herausgegeben werden, bald aber wurden Luthers Wörter auch auf obd. Gebiet verstanden:

 

Luther

Oberdeutsch

fett

feist

freien

werben

heucheln

gleisnen

Hügel

Bühel

Lippe

Lefze

tauchen

tunken

Topf

Hafen

 

Latein und Deutsch

Die Humanisten: Interesse für die deutsche Sprache. Bereits zu Beginn der fnhd. Zeit hatte eine neue geistige Strömung aus Italien, der Humanismus, am Prager Hof Fuß gefaßt. Der Ackermam aus Böhmen von Johann v. Tepl (1401) zeigt z.B. einen neuen, vom lateinischen bzw. rhetorischen Ideal beeinflußten Sprachstil. Von etwa 1450 an verbreitete sie sich über das ganze deutsche Sprachgebiet und spielte noch im 15. Jh. eine wichtige Rolle. Die durch die Renaissance wieder erschlossene antike Kultur galt als Vorbild; Bildung, persönliche Entwicklung zur humanitas, bes. durch die antike Literatur, war das Ziel (die Wörter Philologie, Philologe - 15. Jh.).

Der Humanismus befestigte zwar die Stellung des Lateins noch mehr, er erneuerte aber auch die deutsche Sprache. Für die Humanisten war Latein die Sprache der Bildung und das natürliche Verständigungsmittel der Gelehrten. Der differenzierte Wortschatz und die syntaktischen Ausdrucksmittel ermöglichen sowohl einen komprimierten als auch einen präzisen Stil. Nach diesem Ideal versuchten sie dann auch, z.B. in ihren Übersetzungen, den deutschen Wortschatz mit Synonymen und neuen Begriffen zu bereichern und die Syntax zu erneuern, denn wie in anderen Ländern förderte der Humanismus in Deutschland ein Interesse an der eigenen Vergangenheit und Sprache. Lateinisch-deutsche Wörterbücher wurden gedruckt, und 1573 - 78 erschienen drei deutsche Grammatiken - in lateinischer Sprache.

Das beginnende 17. Jh. bringt dem Interesse für die Muttersprache neue Anregungen. Nach italienischem Vorbild werden deutsche Sprachgesellschaften gegründet, die sich für Sprachreinigung und Sprachnormung einsetzen.

 

Vorherrschen der lateinischen Sprache. Obwohl die Humanisten zahlreiche Werke aus dem Latein, dem Italienischen und Griechischen ins Deutsche übersetzen, um die antike Kultur an Nicht-Lateinkundige zu vermitteln, schreiben sie selbst jedoch weitgehend lateinisch. Latein verblieb ebenfalls die Sprache der Schule, der Wissenschaft und der Liturgie, wenn auch Reformation und Buchdruck dem Deutschen große Verbreitung brachten. Sogar Luther schrieb mehr Latein als Deutsch, und 1570 waren 70% der im deutschen Sprachgebiet gedruckten Bücher noch auf lateinisch abgefaßt! (1770 sind es noch 17%). Erst 1687 werden die ersten Vorlesungen auf deutsch gehalten, und im 18. Jh. setzt sich dann Deutsch als Unterrichtssprache an den Universitäten durch.

 

Erweiterter Geltungsbereich des geschriebenen Deutsch. Obgleich also noch für geraume Zeit mehr lateinisch als deutsch geschrieben wird, gewinnt das Deutsche immer mehr Boden. Dem gesprochenen Deutsch tritt somit allmählich ein geschriebenes gegenüber. Im Fnhd. finden wir erstmals in der Geschichte der deutschen Sprache eine reichhaltige und vielseitige Prosaliteratur, die durch den Buchdruck weite Verbreitung erlangt.

Die Behörden schreiben nun mehr ihre Akten und Urkunden auf deutsch - wenn auch ein recht starres und vom Latein abhängiges Deutsch -, und die Geschäftssprache ist ebenfalls deutsch.

Die Schul- und Universitätssprache ist zwar Latein, aber es gibt trotzdem deutsche Lehrbücher in manchen Schulfächern wie z.B. Rechnen und Logik. Wichtig sind auch die Fachbücher für verschiedene Berufe (für Kaufleute und Handwerker, für Bergbau und Kriegswesen), die populärwissenschaftlichen Schriften über Alchemie und Reisen und - nach wie vor - eine große Menge medizinische Literatur. Auch deutsche Geschichtsliteratur entsteht, z.B. die Chroniken einzelner Städte. Neben den Bibelübersetzungen erscheinen Lebensbeschreibungen der Heiligen, Predigten, didaktisch-moralische Schriften usw.

Viel gelesen werden die sog. Volksbücher, von denen die ersten schon Ende des 15. Jh. gedruckt wurden. Es sind Ritterepen in Prosa Tristan, Sagenstoffe (Faust) und Fabeln. Die Schwänke entsprechen dem Verlangen nach derber Belustigung (Der Finckenritter, und Hans Clawert, Vorgänger von Münchhausen bzw. Till Eulenspiegel, Die Schildbürger sowie Das Rollwagenbuch von Jörg Wickram). Auch die Novellensammlungen mit abenteuerlichen, pikanten und rührseligen Geschichten (nach lateinischen und italienischen Quellen) verkaufen sich gut. Die Volkslieder schließlich erleben im 16. Jh. eine Blütezeit.

 

Lautwandel. Der fnhd. Vokalismus weist drei größere Veränderungen auf, die alle in mhd. Zeit beginnen: die Diphthongierung der drei langen geschlossenen Vokale, die Monophthongierung von drei Diphthongen und die Dehnung kurzer Vokale in offener Silbe. Teilweise treten diese Veränderungen schon in mhd. Gebrauchsprosa auf, nicht aber in der höfischen Dichtersprache, wo sie wohl als allzu mundartlich galten.

Frühneuhochdeutsche (mitteldeutsche) Monophthongierung. Die Monophthongierung der Diphthonge ie, uo, üe begann im 11. – 12. Jh. in Mitteldeutschland. Sie hat das Bairische und Alemannische nicht erreicht (vgl. bair. liab, guat alem. lieb, guet). In der Schrift hat sich der mhd. Diphthong ie erhalten, wodurch das e zum bloßen Längenzeichen des i geworden ist. Heute wird diese Schreibung deshalb auch in manchen Fällen verwendet, wo das Mhd. keinen Diphthong hatte: liegen (mhd. ligen), dieser (mhd. diser), Biene (mhd. bine).

Merksatz: mhd. li-ebe gu-ote brü-eder > nhd. liebe gute Brüder

Frühneuhochdeutsche Diphthongierung

Die fruhneuhochdeutsche Diphthongierung (auch nhd. Diphthongierung genannt) der drei langen geschlossenen Vokale [i: y: u: ] beginnt - grob gesehen - im frühen Mhd. (12. Jh. ) in Bayern und hat im 14. Jh. schon weite ober- und mitteldeutsche Gebiete erreicht. Im Laufe der fnhd. Zeit wird die Diphthongierung zum Kennzeichen des hochdeutschen Sprachraums. Sie ist jedoch nicht m allen Mundarten durchgeführt. Das Alemannische in der Schweiz und im Elsaß hat die alten Langvokale bewahrt, es heißt nicht auf Schweizerdeutsch sondern uf schwyzerdütsch. Auch das Niederdeutsche hat die Diphthongierung nicht, was den durch die 2. Lautverschiebung markierten Unterschied zwischen Hochdeutsch und Niederdeutsch (und Schwedisch) noch deutlicher unterstreicht.

Um die gleiche Zeit treten ähnliche Veränderungen im Niederländischen und Englischen auf, nl. mijn huis, eng. my house.

Die drei neuen hd. Diphthonge fallen allmählich in der Aussprache mit den alten aus dem Germ. ererbten Diphthongen zusammen. Ein Vergleich mit dem Schwed. läßt oft noch den unterschiedlichen Ursprung der nhd. Diphthonge erkennen:

nhd.

mhd.

schwed.

fein

fîn

fin

heim

heim

hem

auf

ûf

upp

laufen

loufen

löpa

steuern

stiuren

styra

Freude

vräode

fröjd

Nicht eingetreten ist die Diphthonierung in der Schweiz, im Elsaß, im Ripuarischen, im Osthessischen in Westthüringen und im Niederdeutschen.

Merksatz: mhd. mîn niuwez hûs > nhd. mein neues Haus

Weitere lautliche Veränderungen im Fnhd. sind:

Dehnung von Kurzvokalen in offener Silbe: geben > geben, bote > Bote, klagen > klagen. Dadurch verschieben sich die Silbengrenzen.

Kürzung von Langvokalen in geschlossener Silbe: hêrlih > herrlich, brâhte > brachte.

Senkung a) der hohen Vokale: sunne > günnen > gönnen, hüle > Höhle, sunne > Sonne, sun > Sohn b) der Diphthonge ei, öu, ou: /ei/ > /ai/, /öu/ > /eu/, /ou/ > /au/; weinen > weinen, fröude > Freude, boum > Baum.

Hebung der tiefen Vokale: mâne > Mond, âne > ohne.

Rundung: zwelf > zwölf, lewe > Löwe, finf > fünf.

Entrundung: küssen > Kissen, nörz > Nerz.

Die Erscheinungen der Rundung, Entrundung, Senkung der Monophthonge und Hebung sind dabei nicht systematisch sondern wortweise vorgegangen.

Vereinheitlichung der Flexion

Die Substantive. Schon im Mhd. hatten sich durch die Nebensilbenabschwächung die Unterschiede zwischen den Deklinationstypen (den verschiedenen „Stämmen“) stark verwischt. Nun verschwinden diese Unterschiede immer mehr zugunsten einer deutlichen Kennzeichnung des Plurals.

So wird z.B. der Umlaut als Pluralmorphem immer häufiger verwendet (Vögel, Klösler). Der bis dahin seltene er-Plural breitet sich aus, bes. auf die starken Neutra, die im Nom./Akk. Plural keine Endung hatten (mhd. Plur.: wort, horn, vaz, banl -  vgl. den im Schwed. noch endungslosen Plural: urd, horn, jul, bancl).

Die neuen Pluralsuffixe -e und -en entstehen aus alten Kasusendungen: -e wird als Kennzeichen des Plurals aufgefaßt und z.B. auf starke Neutra übertragen: mhd. Plur. dinc, jar > fnhd. Plur. Ding-e, Jahr-e.

In diesem Zusammenhang verlieren manche Subst. durch Apokope ihr Bindungs -e im Singular: mhd. star(e), mäne, riche, herre, löre, leru-re > Star, Mond, Reich, Herr, Tor, Lehrer.

Manchmal ist bei den (ursprünglichen oder durch Deklinationswechsel entstandenen) schwachen Mask. das -n aus den obliquen Kasus in den Nominativ übertragen worden. Diese Subst. werden dann stark fiektiert: mhd. boge, schade, mage > Bogen, Schaden, Magen. Bei einigen dieser Mask. ist der Prozeß jedoch bis heute noch nicht abgeschlossen (Claube, Wille usw.).

Die schwachen Feminina (Flexion wie die schwachen Maskulina, d.h. -en im Akk. Sing.) fallen allmählich mit den starken zusammen, zeigen eine deutliche Numerusunterscheidung und bilden die heutige gemischte Deklination mit starkem (endungslosem) Singular und schwachem Plural (-eri).

Reste des alten schwachen Singulars lassen sich heute noch erkennen, in Zusammensetzungen (Frauen-kirche, Heiden-röslein), in Sprichwörtern (Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch an das Licht der Sonnen) und Redewendungen (im Himmel und auf Erden).

Verben. Bei den Verben findet ebenfalls ein Ausgleich statt, z.B. werden die Personalendungen noch einheitlicher:

mhd. Präs. Ind. 3 Plur.: sie gebent > sie geben;

mhd. Prät. Ind. 2 Sing. bei starken Verben: du gaebe > du gabst.

Viele schwache Verben mit umlautlosem Präteritum und Präteritum Partizip (sog. Rückumlaut) geben diese Formen auf:

mhd. setzen, satze, gesazt > setzen, sezte, gesetzt.

Einige Verben haben jedoch die umlautlosen Formen bis heute beibehalten (brennen, kennen, rennen usw.).

Schließlich verschwindet immer mehr der Unterschied zwischen Singular und Plural im Prät. Ind. der starken Verben, der im Schwed. bis ins 20. Jh. beibehalten wurde:

ich band - wir bunden (schwed. band - bundo), ich reit - wir ritten, ich was - wir wâren.

Meist siegt der Singularvokal (band - banden), manchmal der Plural (ritt - ritten). Lange halten sich aber Varianten nebeneinander, z.T. bis ins 18. Jh. (Die veraltete Singularform ward für wurde kommt ja teilweise heute noch in höherem poetischen Stil vor. Vgl. auch das Sprichwort: Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen.)

Das Resultat dieser Vereinheitlichungstendenz im Fnhd. war aber für die starke Konjugation nicht nur ein Ausgleich (zwischen Prät. Sing. und Plur.), sondern auch eine Differenzierung: aus den sieben alten Ablautreihen entstanden im Laufe der Zeit fast 30 Untergruppen der nhd. starken Verben!

 

Entwicklungstendenzen im Satzbau. Auch was die Syntax betrifft, ist das Fnhd. eine Übergangszeit. Einerseits wird in den Kanzleien und der Übersetzungsliteratur der Humanisten versucht, im geschriebenen Deutsch die lat. Syntax nachzuahmen (Lehnsyntax). Andererseits gibt es aber auch Tendenzen, sich der gesprochenen Sprache anzupassen, und zwar in der agitatorischen Massenliteratur und bei Luther.

 

Der lateinische Einfluß (Lehnsyntax). In mhd. Zeit war der Satzbau noch hauptsächlich parataktisch (nebenordnend), mit einfachen Hauptsatzreihen. Wahrscheinlich durch das lat. Vorbild bedingt kommt nun in zunehmendem Maße Hypotaxe (Unterordnung) vor. Der erweiterte Kommunikationsradius des geschriebenen Deutsch spielt hierbei natürlich auch eine Rolle. Verwaltung und Wissenschaft verlangen eine höhere Abstraktionsstufe, was z.B. die explizite Bezeichnung der hypotaktischen Beziehung notwendig macht. Für die vielen abhängigen Nebensätze entstehen somit neue Konjunktionen (auf daß, indem, ohne daß u.a.). Die Sätze werden außerdem länger und komplizierter, bes. in der Kanzleisprache.

Dem Latein sind auch gewisse Partizipial- und Infinitivkonstruktionen zu verdanken. Manche verschwinden im Laufe der Zeit wieder aus dem Deutschen (Nach genommenem Abschied von seinem Freund - so noch Schiller -; und sagst du . . . dich nit wissen, heute: daß du nicht weißt); andere haben sich in der Schriftsprache eingebürgert wie - seit etwa 1600 - das erweiterte Attribut.

Die Wortstellung festigt sich nach und nach. Im Ahd. konnte z.B. das Verb im Aussagesatz am Anfang, an zweiter Stelle (d.h. als zweites Satzglied) oder am Satzende stehen. Nachdem sich im Mhd. das Subjektspronomen immer mehr durchgesetzt hatte, wurde die Anfangsstellung des Verbs aber seltener, und im Fnhd. tritt auch in diesen seltenen „übrig gebliebenen“ Fällen oft ein es als Füllwort im Vorfeld auf: es durfft 'brauchte' ein Esel nicht viel singen (Luther). Nun übernimmt das finite Verb im allgemeinen die zweite Stelle im Satz, und die übrigen Prädikatsteile stehen immer häufiger am Satzende. Eine verbale Klammerstellung ist jedoch noch nicht die Regel: Er mus dencken an ein vas 'Faß' voll bier (Luther).

Im Nebensatz wird die Endstellung des Verbs allmählich vorherrschend, was sich z.B. anhand von Luthers Schriften verfolgen läßt:

1522 die weyl aber yhr nicht seyt von der welt,

1546 Die weil jr aber nicht von der welt seid,...

1522 das die welt bereyttet ist durch Gottis wort,

1534 das die welt durch Gottes wort gemacht ist.

 

Zur Orthographie des Frühneuhochdeutschen. Die Inkonsequenz in der Orthographie ist im Fnhd. besonders auffällig. Orthographische Varianten eines Wortes im selben Text sind nicht selten, z.B. bei der Bezeichnung der Vokallänge, die ja im heutigen Deutsch immer noch nicht konsequent ist:

• keine Bezeichnung: Los;

Verdoppelung des Vokals: Moos;

h, e oder i als Dehnungszeichen: froh, viel; Soest [zo:st], Stadt in Westfalen, Voigt [fo:kt], Personennamen. In Namen findet man oft Reste älterer Schreibung.

Charakteristisch für das Fnhd. ist auch eine oft unmotivierte „dekorative“ Häufung von Konsonanten (todt, thier, köppfen, auff, wortt), vor allem für die Affrikata [ts]: zc, cz, tcz, czz (letczt). Während der Barockzeit, 16. - 17. Jh., ist diese Buchstabenhäufung große Mode (funffczig, wherdenn).

Im Fnhd. unterscheidet man wie im Mhd. i/j und u/v noch nicht nach der Lautqualität Vokal/Konsonant wie heute, sondern nach der Stellung im Wort. Anlaut: jn, jar (in, Jahr); vm, vleiß (um, Fleiß); Inlaut: wil, müeien ('will', müejen nhd. 'mühen'), mus, zuuor (muß, zuvor). Nun kommt auch der Gebrauch des y auf. Es steht für [i] im Fnhd.: yhm, feyren (vgl. noch heute: Mayer); erst im Nhd. für [y].

In den fnhd. Drucken werden noch oft Abkürzungen aus der Handschriftenzeit verwendet: der „Nasalstrich“ für m oder n (ein Strich über diesen graphischen Symbolen) und der „er-Haken“ für r/er (odˆ , dˆ , wassˆ 'oder, der, Wasser').

Für Zusammenschreibung von Wörtern oder Wortgruppen gibt es noch keine festen Regeln (zu rissen, zuuerteutschen 'zerrissen, zu verdeutschen'), ebenso wenig wie für die Silbentrennung, die nach jedem Buchstaben möglich ist (sch-rift).

Im Laufe der fnhd. Zeit setzt sich allmählich die Großschreibung der Substantive durch, was sich anhand von Luthers Schriften verfolgen läßt. In seinen frühen Werken werden nur Substantive, die einen religiösen Inhalt haben oder einen hohen Rang bezeichnen, großgeschrieben (Gott, das Newe Testament, Bapst, Keiser, Fürst usw.), in den späteren schon 80% aller Substantive, die nicht Eigennamen sind. Eine Regelung existiert im Fnhd. aber nicht. Die Interpunktion ist auch nicht geregelt. Zu Luthers Zeit verwendet man hauptsächlich Virgel, d.h. den Schrägstrich, und Punkt. Der Gebrauch von Komma, Frage- und Ausrufezeichen setzt sich erst im 17. Jh. durch.

 

Der Wortschatz. Die Gelehrten waren damals zweisprachig. Oft verwendeten sie untereinander eine lateinisch-deutsche Mischsprache, was z.B. aus Luthers Tischgesprächen ersichtlich ist: „Unus Latomus ist der feinst scriptor contra me gewest“ (463); „quia Diabolus schlegt eim verbum auf fden Kopff“ (590). Durch diese Zweisprachigkeit gelangten allmählich viele lat. Wörter in den allgemeinen Sprachgebrauch.

Die lateinische Sprache hatte seit ahd. Zeit ununterbrochen auf den deutschen Wortschatz eingewirkt, bald schwächer, bald stärker. In der Humanistenzeit überflutet die dritte lateinische Welle das Deutsche. Vieles ist kurzlebig geblieben, aber zahlreiche Wörter haben sich eingebürgert. Neu ist, daß nun auch griechisches Wortgut entlehnt wird, oft allerdings durch das Lateinische vermittelt.

Die verschiedenen Fachsprachen, die mit der Entwicklung der Wissenschaften und dem Aufkommen neuer bürgerlicher Berufe entstanden sind, nehmen viele Fremdwörter auf, die dann auch in den allgemeinen Gebrauch übergehen. Manche stehen für neue Begriffe, andere verdrängen ältere deutsche Wörter wie z.B. die Monatsnamen: lat. Juli, Dezember für dt. Heumonat. Christmonat.

Verwaltungssprache: kopieren, Magistrat, Registratur; Archiv.

Rechtssprache: Arrest, Testament; Polizei.

Medizin: Nen-, Patient, Rezept; Chirurgie, Epidemie, Katarrh.

Mathematik und Geometrie: multipiizieren, plus, Produkt, Parallele, Problem, Zylinder.

Grammatik: Konjugation, Konsonant; Orthographie.

Akademische Fachsprache: Dissertation, immatrikulieren, Student, Kommilitone, Professor; Akademie.

Terminologie der höheren Schule: Examen, Rektor, Gymnasium.

Druckersprache: Fraktur, Makulatur, Korreklur, Format.

Seit dem 16. Jh. beeinflussen auch die lateinischen Tochtersprachen die verschiedenen Fachvokabulare. Die Kaufmannssprache und die Musiksprache übernehmen viele Bezeichnungen aus dem Italienischen.

Die Soldatensprache bringt eine große Anzahl romanischer Lehnwörter ins Deutsche, angefangen im 16. Jh. und dann durch die internationalen Söldnerscharen des 30-jährigen Krieges verstärkt:

ilalienisch: Alarm, Kanone. Sokial;

spanisch: Armada, Infanterie, Major.

Andererseits bemüht man sich aber auch deutsche fachsprachliche Wörter zu schaffen, durch Lehnübersetzung/-übertragung oder durch Neubildung/Lehnschöpfung: Jahrbücher (annales); Vollmacht (pleni-potentia); Viereck (Quadrat);

Bergmannssprache: Kobalt (eig. 'Kobold'; wertloses von den Berggeistern verdorbenes Mineral), Wolfram (eig. 'Wolfsschmutz', Wolf, weil das Wolframer Zinn frißt; ahd. ram 'Schmutz' bezieht sich auf die schwärzliche Farbe), Zink (eig. Zinke 'Zacke', weil das Mineral sich zinkenförmig an den Wänden absetzt).

Viele neue deutsche Wörter entstehen in fnhd. Zeit, bes. Abstrakta a,u (-ung (Abbildung, Belohnung, Verfolgung). Für ihre Verbreitung haben die lateinisch-deutschen Wörterbücher und die Synonymenlisten der Humanisten eine nicht geringe Rolle gespielt, wie auch das durch die humanistische Prosa beliebt gewordene Stilmittel der synonymen Ergänzung: schnell und behend, achten und schelzen (schätzen), gerungen und gestritten.

Frühbürgerliche Zeit. Ab Mitte 13. Jh. ist ein Rückgang des Rittertums und der damit verbundenen Kultur festzustellen. Gleichzeitig verliert sich auch der französische Einfluss auf den dt. Sprachraum, die Entlehnungen nehmen ab und die zuvor übernommenen Fremdwörter verschwinden z.T. wieder aus dem dt. Sprachgebrauch bzw. aus der dt. Dichtung. Wenn es zu Neuentlehnungen kommt, so sind diese keine frz. Wörter mehr. Es zeigt sich sogar eine Tendenz zur Verspottung und Geringachtung des im Rittertum verehrten Französisch.

Die Bezeichnung dieses Abschnitts der dt. (Sprach)Geschichte als Frühbürgerliche Zeit geht auf Peter von Polenz zurück. Er begründet sie mit dem steigenden Einfluss des Bürgertums, das zur kulturtragenden Schicht emporsteigt. Weiters kommt es zu einer Osterweiterung des dt. Sprachgebiets, größere Städte entstehen, Handel und Verkehr nehmen zu. Damit einher geht eine verstärkte Schriftlichkeit: während sie zuvor von der Geistlichkeit und dem Adel (meist als Gönner o.ä.) dominiert worden ist, bedienen sich nun auch Bürger (also Kaufleute, Handwerker usw.) des Mediums Schrift. Bildung und literarische Tätigkeit sind nicht mehr Vorrecht des Adels und der Kirche. In den Dichtungen des Bürgertums treten verstärkt mundartliche Merkmale hervor, weshalb diese Texte teils schwieriger zu lesen sind als mhd. Texte aus der Zeit des Rittertums. Denn die Dichter des Rittertums versuchten, mundartliche Elemente möglichst auszuklammern und entwickelten in ihren Werken übermundartliche Züge. (Die frühere Forschung sprach von einer mhd. Dichtersprache.)

Auch die Rezeption der Literatur wandelt sich: der mündliche Vortrag wird tendenziell von dem Lesen verdrängt. Bzgl. des Wortschatzes werden mhd. Wörter teilweise durch neue ersetzt; so etwa dicke > oft, michel > groß, höfesch > hübsch. Neue (meist volkstümliche) Literaturformen entstehen: Volksschauspiel, Volksbühnen, Historien, Schwänke, Legenden u. a.

Im liturgischen Bereich dominiert jedoch nach wie vor das Latein als amtliche Sprache der Kirche. Bis heute erhalten haben sich daher die biblischen Termini Absolution, Diakon, Chor, Sakristei, Talar, Testament usw. In der zweiten Hälfte des 15. Jh. untersagt der Mainzer Erzbischof die Bibelübersetzung, da die dt. Übersetzung nie die gesamte Tragweite des Werkes transportieren könne. Damit bestärkt er sowohl die Vormachtstellung des Lateinischen als auch die der des Lateins mächtigen.

Humanismus – „Dritte lateinische Welle“. Die frühesten humanistischen Tendenzen machen sich in Italien bemerkbar. Der eigentliche Frühhumanismus beginnt jedoch in Wien. Als bedeutende Persönlichkeit ist Enea Silvio Piccolomini zu nennen, der 1437 im Dienst des Kaisers nach Wien kommt. Er wird später als Pius II. Papst werden. Zentren des Humanismus in der zweiten Hälfte des 15. Jh. sind Straßburg, Basel und v. a. Heidelberg. Während des Humanismus wird das Deutsche vielfältig durch andere Sprachen beeinflusst und modifiziert.

Latein (und Griechisch). Das Latein ist die Sprache der Humanisten. Zudem ist sie institutionalisiert als Sprache der Verwaltung und der Rechtssprechung, wodurch sie über die Jahrhunderte erhalten blieb. In der Literatur erlebt das Latein im 15. Jh. einen Höhepunkt. Um 1500 sind 90 Prozent der Bücher in lat. Sprache abgefasst, 1570 sind es immerhin noch 70 Prozent. (1680 beträgt der Anteil nur noch 50 Prozent und sinkt in der Folge weiter auf 28 Prozent 1740 und 17 Prozent 1770.) Latein dient als Unterrichtssprache und wird für die gebildete Schicht beinahe eine zweite Muttersprache. Mit der Einführung des Latein als Gelehrtensprache grenzt sich die gebildete Schicht (homines literati) von den Ungebildeten (homines illiterati) ab. Die Sprache dient der sozialen Differenzierung und als Prestigesymbol.

Die intensive Beschäftigung mit und Hochstilisierung des Latein(s) motiviert aber auch eine große Anzahl von Übersetzungen aus dem Lateinischen ins Deutsche, um den ungebildeten Nichtlateinern die humanistischen Grundideen zu vermitteln. Je nachdem ob die jeweilige Übersetzung eine sinngemäße (de sensu) oder eine wörtliche (de verbo) ist, entstehen aus den lat. Fachtermini Lehnwörter (lat. Wörter werden samt Flexion übernommen, also eigentlich Fremdwörter nach Polenz) oder Lehnübersetzungen. Teilweise kommt es zu Zwillingsformen wie Red - Oration. Wegen der grundsätzlichen Annahme der Wortarmut und der sprachlichen Schwäche des Deutschen sowie der Tendenz zur Originaltreue überwiegt die wörtliche Übersetzung. Auch der Satzbau des Lateinischen wird z.T. auf das Deutsche übertragen. Im Hintergrund dieser Aktivitäten steht also eine Sprachpflege- und eine bildungspolitische Absicht. Besonders deutlich erscheint die Sprachmischung bei den Tischreden Luthers: „spiritus sanctus setzt mortem ein ab poenam.“ Auch satirische Texte zur Sprachmischung werden verfasst.

Peter von Polenz charakterisiert das humanistische Neulatein als Folge einer sprachpuristischen Erstarrung. Die Fremdwörter und die zugehörige, beibehaltene Fremdflexion werden zur akademischen Statussymbolik. Auch heute noch sind sie Teil des bürgerlichen Prestigedenkens, z.B.: Thema - Themata, Atlas - Atlanten, Tempus - Tempora, Index - Indizes, Rhema - Rhemata, Schema - Schemata. Dieses bildungsbürgerliche Privileg blockiert heute die Aufnahme und die Eingliederung neuer Fremdwörter ins Deutsche.

Zurück zum Humanismus: Bei manchen (lat.) Wörtern kam es zu Mehrfachentlehnungen: So wurde lat. marmor bereits im 8. Jh. zu ahd. marmul, murmel später mhd. marmel (heute Murme) entlehnt. Im 16. Jh. fand eine Relatinisierung statt zu Marmor. Ähnliches gilt für Meister - Magister und Pfalz - Palast - Palais (in dieser Reihenfolge; > lat. palatium 'fürstliche Wohnung auf dem röm. Hügel palatin'). Man spricht von Dissimilation. Eine andere Erscheinung des Latein-Euphorismus ist die etwa bei Wimpfeling anzutreffende lat. Flektierung dt. Substantive (Ende 15. Jh.). Nicolas von Wyle stellt fest, daß nur lat. Formen im Stande seien, Zierlichkeit, Höflichkeit usw. wiederzugeben.

Weil die lat. Sprache ein Statussymbol ist, werden auch Namen latinisiert bzw. graecisiert: Claudius, Julius, Cornelia, Hector, Desiderius, Erasmus von Rotterodamus, aus Jost wird Justus, Martin > Martinus. Wenn es möglich ist, wird übersetzt: Weber > Textor, Bauer > Agricola, Hund > Canisius. Teilweise werden auch nur lat. Suffixe angehängt: Busch > Buschius, Vogelius, Käskorb > Cascorbi. Hie und da schleichen sich Fehler ein: Schwarzer wird (fälschlich) interpretiert als Schwarz-Erd(e) und übersetzt als Melanchthon.

Neben dem dominierenden Latein wird auch das Griechische zu einer Sprache der Bildungselite, obwohl es im Mittelalter fast völlig in Vergessenheit geraten war und erst im 14. Jh. teilweise in Italien wieder bekannt wurde. Sprachkenntnisse des Griechischen dienen allerdings in erster Linie dem Verständnis der griechischen Texte. Es wird bei weitem nicht so einflußreich wie Latein (Griechisch wird keine akademische Amtssprache). Doch auch Griechisch wird ein prestigeträchtiges Symbol für die Zugehörigkeit zu einer gebildeten Oberschicht. Aus dem Griechischen übernimmt das Deutsche z.B. bestimmte Schreibformen (th, ph, rh; wiederholt Angriffspunkt von Rechtschreibreformern. Das h geht auf den griech. spiritus asper zurück; die Antike als Statussymbol). Hinsichtlich der Aussprache werden griech. Formen assimiliert; z.B.: Hydrozephalus. Daß Latein die bestimmende Sprache ist, zeigt sich nicht zuletzt an der Latinisierung von griech. Entlehnungen: griech. anonymos > lat. anonymus > frz. anonyme, griech. gymnásion 'Übungs- und Ausbildungsstätte' > dt. Gymnasium. Weiters kommt es zu Regraezisierungen; beispielsweise wird frz. fantôme zum Phantom, obwohl dieses Wort im Griechischen nicht existent ist.

Ein Sprachbereich, der besonders viele antike Wörter aufnimmt, wird von den Sprachhandlungsverben gebildet: deklamiren, definiren, diktiren, disputiren, memoriren, räsonniren, referiren, konferiren. Sie werden aber vorerst in ihrer urspr. Bedeutung verwendet.

Französisch (und Italienisch). Nachdem während der Frühbürgerlichen Zeit kaum frz. Entlehnungen zu verzeichnen waren, kommt es ab 1500 und verstärkt ab 1560 wieder zu mehr frz. Lehnwörtern im Deutschen:

Kriegswesen: Admiral, Artillerie, Bresche, Leutnant, Kapitän, Truppe;

Wirtschaft und Verkehr: Journal etc.;

Verwaltung und Politik: Pass, Patriot, Renegat, Revolution;

Geselligkeit und Ethik: Courage, delikat, Diskretion, Lakai, Kurtisane, Rivale, Robe;

Architektur, Kunst, Literatur, Musik: Farce, Garderobe, Klavier, Posamentrie 'Sammelbezeichnung für Waren, die als Besatz für Kleidung verwendet werden, z.B. Borten, Schnüre, Quasten, Litzen, Bänder' u.a.

Manche Entlehnungen werden durch die Dominanz des Lateins latinisiert: frz. formel > formell > Formalität, nervös > Nervosität; die Suffixe der Substantive sollen ans Latein erinnern. Aus dem Französischen stammt außerdem die Endbetonung der Wörter Herodót, Homér, Kritík und Politík.

Italienische Fremdwörter können heute dazu dienen, die österreichischen Eigenheiten im Vergleich zu den übrigen dt. Sprachen (bzgl. des Wortschatzes) zu spezifizieren, da sie z.B. in Deutschland nicht vorkommen. Sie stehen oft synonymen frz. Entlehnungen gegenüber, wobei die frz. Varianten meist mehr Prestige offerieren und tendenziell die italienischen verdrängen: Kassa - Kasse, Pomeranze (< it. pomo 'Apfel' und arancia 'bitter') - Apfelsine (< frz. pomme de Sine 'Apfel aus China'), Biskotte (< it. biscotte) - Biskuit (< Frz. < lat. bis coctus 'zweimal gebackenes Brot'), Marille (< it. armellino 'armenischer Apfel') - Aprikose (< Frz. < Span. < Port. < Arab. < Griech. < lat. praecoquum 'frühreif').

Weitere Entlehnungen im 15., 16. und 17. Jh.

Aus dem Italienischen sind entlehnt:

Bankwesen (sämtliche 15. Jh.): Konto (< it. conta), Magazin, Bank (< it. banco), brutto (< it. brutto), Kredit (< it. credito), Kapital (< it. capitale), Bilanz (< it. bilancio 'Waage', 'Gleichgewicht');

Fernhandel: Kompass (< it. compasso; 15. Jh.), Post (< it. posta; 16. Jh.), Strapaze (< it. strapezzo; 17. Jh.), Pirat (< it. pirata; 15. Jh.);

Kriegswesen: Alarm (< it. alarme; 15. Jh.), Bastei (< it. bastione; 17. Jh.), Proviant (< it. provianda; 15. Jh.);

Speisen und Küche: Bankett (< it. banchetto; 15. Jh.), Kartoffel (< it. tartuficolo; 17. Jh.), Porzellan (< it. porzellana; 15. Jh.), Marzipan (< it. marzapane; 16. Jh.), Pasta (< it. 'Teig');

Literatur und Musik: Satz- und Tempobezeichnungen, z.B.: Pasticco „zu betrügerischen Zwecken in der Manier eines Künstlers gemaltes Bild oder aus den Werken verschiedener Komponisten zusammengesetztes Musikstück, bes. Oper od. Singspiel (mit neuem Libretto)“.

Die Fremdwörter aus dem Spanischen hängen eng mit den Entdeckungen zusammen (Columbus ff.): Guerilla (19. Jh.), Liga (15. Jh.), Flotille (16. Jh.), Kaskot 'Schiffsrumpf' (18. Jh.), Kork (16. Jh.), Zigarre (18. Jh.). Auch aus dem Spanischen wird die Anrede in der dritten Person übernommen; Fachterminus.

Wörter aus dem Niederländischen werden vor allem im 17. Jh. ins Deutsche übernommen. Meist handelt es sich um Termini der Seefahrt, des Fernhandels oder des Wasserbaus: Schleuse, Düne, Werft, Kante, Stoff, Niete.

Bei einigen Entlehnungen entsteht eine Zweifachsuffigierung: Proportionierung - Proportion (< lat. proportio; 15. Jh.), Transportierung - Transport (< frz. transporter; 17. Jh.), Spekulierung - Spekulation (< lat. speculari), Studierung - Studium (< lat. studere), Zitierung - Zitat (< lat. citare). Die letzten drei Beispiele zeigen erneut, daß sich die eher ans Latein erinnernde Form durchsetzt.

Im 17., 18., auch noch 19. und 20. Jh. werden Wörter aus dem Hebräischen (über das Jiddische) entlehnt. Sie finden vor allem Eingang in die Sprache der Landstreicher, Hausierer, Rechtlosen und der Kriminellen. Die Gaunersprache Rotwelsch besteht z.T. aus hebr. Wörtern, z.B.: chuzbe 'Dreistigkeit', flöten gehen, meschugge, mies, schäkern, Schlamassel.

Entlehnungen aus dem Slawischen sind relativ selten trotz des intensiven politischen Kontakts. Ortsnamen: Berlin, Feistritz; Familiennamen: Fritsche, Novak.

Absolutismus, bildungsbürgerliche Sprachkultivierung (17., 18. Jh.). Französisch wird wieder Hofsprache, dementsprechend viele Lehnwörter stellen sich ein. Das Deutsche wird sogar vom Preußenkönig Friedrich II. in seinem Buch De la litterature allemande verspottet. Latein bleibt weiterhin die (amtliche) Wissenschafts- und Rechtssprache. Es herrscht eine alamodische Vielsprachigkeit der Oberschicht, die sich aus Deutsch, Latein, Französisch, Spanisch, Italienisch und im Nordwesten Europas auch aus Niederländisch zusammensetzt. Je nach Situation und Absicht wird eine andere Sprache verwendet. Zudem entsteht eine oberschichtliche Dreisprachigkeit, welche die drei Hauptsprachen Französisch, Deutsch und Latein umfasst. Durch das Reichssprachenrecht sind Deutsch und Latein seit dem Mittelalter die offiziellen Reichssprachen. Auf Reichstagen wird daher verlangt, daß anderssprachige Texte (so auch franz.) ins Lateinische oder ins Deutsche übersetzt werden. Bei zwei Reichstagen im 17. Jh. führt dies zu Streitigkeiten und Konflikten. Später nehmen die Bemühungen um die dt. Sprache zu: von allen dt. Beamten wird gefordert, Deutsch zu beherrschen und 1687 wird die erste dt. Vorlesung angekündigt. Darin werden die Deutschen u.a. dazu ermahnt, die eigene Sprache besser zu erlernen; eine ähnliche Forderung formuliert Leibnitz (der selbst alle seine Werke in lat. oder franz. Sprache abfasst).

Trotzdem bleibt vorerst Französisch die bestimmende Sprache; Voltaire (um 1750 in Potsdam): „Ich bin in Frankreich. Man spricht nur unsere Sprache. Das Deutsche ist nur für die Soldaten und die Pferde.“

Als Gegenpol zum Alamode-Wesen, zur alamodischen Vielsprachigkeit und zur Sprachmengerei (vor allem Frz., Lat., Dt., Span., It.), steht der Versuch, Deutsch als Unterrichtssprache einzuführen. 1687 hält Christian Thomasius eine dt. Vorlesung und Leibnitz betont in einer Ermahnung an die Deutschen die Bedeutung der dt. Sprache. 1771 erscheint das erste Fremdwörterbuch, der Deutsche Dictionarius von Simon Roth. Die dominierende Sprache ist Französisch, sie wird von adeligen Erziehern, Briefstellern etc. verwendet. Im 18. Jh. werden mindestens 400 Lehrwerke zur frz. Grammatik in Umlauf gebracht. Sämtliche gesellschaftlichen Aktivitäten der oberen Gesellschaftsschichten sind eng mit dem Französischen und mit Frankreich (als Stilvorbild) verknüpft.

Der Einfluß des Französischen wird ebenfalls bestärkt durch die Hugenotten, die in Brandenburg leben (20000, 7000 allein in Berlin; ein Fünftel der Bevölkerung). Es entsteht generell ein partieller Bilingualismus, je nach Situation wird eine andere Sprache verwendet. Französisch nimmt insbesondere eine bedeutende Rolle in der Diplomatie ein. Erst in heutiger Zeit wird es aus dieser Position langsam aber doch vom Englischen verdrängt.

 

Sprachpurismus

17. Jahrhundert. Das Ziel, das sich sämtliche Sprachvereine u.a. setzen, ist die Kultivierung der dt. Sprache. Die zu Grunde liegende Überzeugung ist, daß auch das Deutsche als Literatur- und Nationalsprache seine Geltung hat. Der Sprachpurismus richtet sich daher nicht nur gegen Fremdwörter, sondern gegen sämtliche anstößige, veraltete und regionale Formen. Betrachtet wird neben dem Wortschatz auch die Grammatik, die Schreibung von Wörtern, die Aussprache usw. Frühe Formen des Sprachpurismus sind nicht unbedingt nationalistisch orientiert. Im Zentrum steht der Kulturpatriotismus, der aber zuerst mit einem antikaiserlichen Aspekt verbunden ist; z.B. wegen der Ablehnung des Lateins.

Grundsätzlich wird die Grundrichtigkeit der dt. Sprache angenommen und die Fähigkeit des Deutschen zur Haupt- und Heldensprache. Die dt. Sprache jedenfalls soll nützlich sein für Konversation und Politik und wird wegen ihrem Wortreichtum den drei heiligen Sprachen (Hebräisch, Griechisch, Latein) als gleichwertig angesetzt. Der große Wortschatz resultiert aus den eben zu dieser Zeit entdeckten Wortbildungsmöglichkeiten.

Es kommt zu Versuchen, das hohe Alter der dt. Sprache zu belegen; z.B. von Gueintz (Aussprache mit w) in seiner Sprachlehre von 1641: das Deutsche stamme direkt aus dem Hebräischen und sei nach der babylonischen Sprachverwirrung von Tuiscon, dem ersten dt. König, und dessen Sohn Mannus nach Deutschland gebracht worden. Gueintz bezieht sich dabei auf eine These des bayerischen Hofhistoriographen Johannes Aventinus (eigentl. Turmair) von ca. 1520. Dieser wiederum scheint die germ. Entstehungssage, wie sie Tacitus in seiner Germania beschreibt, zu ernst genommen zu haben. Tacitus nimmt die Germanen als Ureinwohner an und impliziert somit ein „reines Germanentum“. (Der Name Germanien bedeutet 'trostlos'.) Tuisto ist der Gott, der quasi aus sich den Sohn Mannus, den Stammesvater aller Germanen, gebirt. Mannus hat selbst wieder drei Söhne, aus denen die Stämme Ingaevones, Istaevones und Herminones hervorgehen. Dem Entstehungsmythos liegt ein archetypisches Schema zu Grunde, wonach ein Gott aus sich einen Sohn gebirt, der Gott also ein Zwitter ist. Vgl. Tuisto und die etymologisch verwandten Wörter Zwitter, Zwist, zwei.

Justus Goerg Schottel(ius) war einer der bedeutendsten Vertreter der puristischen Strömungen des 17. Jh. U.a. vertritt er seine Ansichten in dem Werk Ausführliche Arbeit von der teutschen HaubtSprache (1663). Das Deutsche wird (durch den Ausbau der Ideen Tacitus) als eine Art reine Ursprache betrachtet. Ein weiterer Bezugspunkt neben der Germania ist Karl der Große, der eine dt. Grammatik in Auftrag gegeben hatte. Alle diese Überlegungen sind natürlich in Hinblick auf die Sprache der Meister der Dichtkunst und der Gelehrten entstanden. Vom allgemeinen Sprachgebrauch sind sie denkbar weit entfernt. Außerdem ist zu beachten, daß Schottel nicht nur Fremdwörter aus dem Deutschen verbannt sehen will, sondern generell Beliebigkeiten, Unregelmäßigkeiten und Undeutlichkeiten der Sprache ablehnt. Der Grund, daß der dt. Sprache plötzlich die Fähigkeit zugestanden wird, als vollwertige Sprache auch Gelehrten und den oberen Gesellschaftsschichten zu dienen, ist die Entdeckung der Wortbildungsmöglichkeiten des Deutschen. Der Vorwurf an die dt. Sprache (beispielsweise zur Zeit des Humanismus), sie könne die vielen feinen Bedeutungsnuancen etwa des Lateinischen nicht wiedergeben, verliert seine Relevanz. Mit dem Deutschen ist man nun im Stande, nach Belieben und nach Notwendigkeit Wörter zu erzeugen.

Im 17. Jh. entstehen zahlreiche Sprachgesellschaften, die sich der Pflege der dt. Sprache widmen. Die bedeutendste ist die Fruchtbringende Gesellschaft (1617-1680; auch Palmenorden), gegründet in Weimar von Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen nach dem Vorbild der italienischen Accadèmia della Crusca. Mitglieder sind u.a. Schottel, Martin Opitz, Georg Philipp Harsdörffer, Friedrich von Logau, Andreas Gryphius und Philipp von Zesen. Weitere Sprachgesellschaften des 17. Jh. sind: die Teutschgesinnte Gesellschaft (1643-1708; gegründet von Zesen; Harsdörffer, Moscherosch), der Pegnesische Blumenorden (auch Pegnitzschäfer u. a.; gegründet 1644 von Harsdörffer und Klaj; Katharina Regina von Greiffenberg; besteht angeblich noch), der Elbschwanenorden (gegründet 1658 von Johann Rist als Konkurrenz zur Teutschgesinnten Gesellschaft), die Aufrichtige Tannengesellschaft (gegründet 1633 in Straßburg; Weckherlin). Die Mitglieder der Sprachgesellschaften stammen meist aus der Schicht des Bildungsbürgertums, viele werden im Verlauf ihres Lebens geadelt. Es finden sich keine Geistlichen in den Sprachgesellschaften, womit konfessionelle Streitigkeiten ausgeklammert wurden. Die Mitglieder wurden mit sprechenden Vereinsnamen (der Suchende, der Nährende, der Schmackhafte) versehen. Vorbilder der Sprachgesellschaften waren ähnliche Vereine in den Niederlanden und in Italien. Die Sprachgesellschaften verpflichteten sich der Förderung der dt. Sprache (z.B. des Obersächsischen) und damit auch der dt. Tugenden. Die Leistungen der Sprachgesellschaften fallen aber weniger in den spezifisch sprachwissenschaftlichen Bereich.

Philipp von Zesen ist einer der extremsten Fremdwortpuristen dieser Zeit. Einige Beispiele seiner Vorschläge zur Eindeutschung von Fremdwörtern: Distanz - Abstand, Adresse - Anschrift, Moment - Augenblick, Bibliothek - Bücherei, Projekt - Entwurf; es zeigt sich bereits: die Fremdwörter sind im Lauf der Zeit nicht ersetzt worden, sondern das dt. Pendant erlaubte eine zusätzliche semantische Differenzierung. Die Fremdwörter haben sich oft im Bereich der Verwaltung durchgesetzt. Die Liste wird fortgesetzt: Horizont - Gesichtskreis, Konfession - Glaubensbekenntnis, Fundament - Grundstein, Passion - Leidenschaft, Dialekt - Mundart, Orthographie - Rechtschreibung; weitere Beispiele (nur noch der Eindeutschungsvorschlag) Tagebuch, Trauerspiel, Verfasser, Wahlspruch. Neben diesen erfolgreichen Eindeutschungsversuchen stehen nicht geglückte: Altar - Gottestisch, Rauchtisch, Räuchertisch (vermutlich nicht durchgesetzt, weil mehrere Vorschläge), Anatom - Entgliederer, Botaniker - Krautbeschreiber, Natur - Zeugemutter, Nase - Gesichtserker, Fenster - Tageleuchte, Kloster - Jungfernzwinger; Gründe für das Misslingen dieser Versuche: pejorativer Charakter des Ersatzwortes, Versuch, ein bereits ins Deutsche eingegliedertes Wort zu ersetzen. Zesen erregt mit seinen Ambitionen Aufsehen, evoziert aber auch Ermahnungen (z. B. von Ludwig von Anhalt-Köthen) und Spott (Rist).

Historisch betrachtet liegt der Verdienst der Bestrebungen des 17. Jh. im Erwecken des sprachkritischen Bewußtseins und in der Entdeckung der Wortbildungsmöglichkeiten.

Neben einigen anderen Werken Campes zur dt. Sprache erscheint 1803 in zwei Bd. das Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke (2. Aufl. 1813). Einige Wörter als Beispiele: altertümlich, auswerten, befähigen, dienstunfähig (statt invalid), einschließlich, Erdgeschoß, fortschrittlich, Gewaltherrschaft, Kerbtier (statt Insekt), Kleinhandel, Lehrgang, Mannweib (statt Amazone), Örtlichkeit, Randbemerkung (statt Glosse), Verweltlichung, Zartgefühl, Zerrbild (statt Karikatur).

 

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