Lektion 7

 

Das mittelhochdeutsche Substantiv. Man unterscheidet bei der Deklination des mhd. Substantivs folgende grammatischen Kategorien:

Kasus: Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ;

Numerus: Singular, Plural;

Genus: Maskulinum, Femininum, Neutrum.

Nach der Deklinationsart ist zwischen starken Substantiven (Gen. Sg. -(e)s, -e oder endungslos, z.B. Gen. Sg. Mask. des gastes, Gen. Sg. Fem. der kraft) und schwachen Substantiven (Gen. Sg. -(e)n, z.B. Gen. Sg. Mask. des boten) zu unterscheiden. Aus den Merkmalen der mhd. Formen ist noch teilweise eine ältere Einteilung der Substantive in bestimmte Deklinationsklassen ablesbar. Die Substantive, die im Mhd. stark flektieren, hatten ursprünglich - noch im Germ. - zwischen Wurzel und Flexionsmorphem ein vokalisches Element, das sog. Thema oder stammbildende Element, zur Verbindung von Wurzel und Endung. Man nennt daher die st. Deklination auch vokalische Deklination. Bei den sw. Substantiven diente ursprünglich ein konsonantisches Element zur Verbindung von Wurzel und Endung, deshalb sprechen wir hier im Mhd. noch von der konsonantischen Deklination. Der Zusammenfall der ahd. Endsilbenvokale a, e, i, o, u zu e bewirkte, daß das Substantiv im Mhd. einen geringeren Bestand an unterscheidenden Flexionsendungen aufweist. Dieser Umstand fördert die Entwicklung des Mhd. zum analytischen Sprachbau hin.

Deklinationsparadigmen im Mittelhochdeutschen

Klasse

Maskulinum

Neutrum

Femininum

Singular

Plural

Singular

Plural

Singular

Plural

1

der bote
des boten
dem boten
den boten

die boten
der boten
den boten
die boten

daz herze
des herzen
dem herzen
daz herze

diu herzen
der herzen
den herzen
diu herzen

diu zunge
der zungen
der zungen
die zunge

die zungen
der zungen
den zungen
die zungen

2

 

diu gebe
der gebe
der gebe
die gebe

die gebe
der geben
den geben
die gebe

3

der tac
des tages
dem tage
den tac

die tage
der tage
den tagen
die tage

daz wort
des wortes
dem worte
daz wort

diu wort
der worte
den worten
diu wort

diu zît
der zîte
der zîte
die zît

die zîte
der zîte
den zîten
die zîte

4

der gast
des gastes
dem gaste
den gast

die geste
der geste
den gesten
die geste

daz blat
des blates
dem blate
daz blat

diu bleter
der bleter
den bletern
diu bleter

diu kraft
der kraft/krefte
der kraft/krefte
die kraft

die krefte
der krefte
den kreften
die krefte

 

Die weitere Entwicklung des Artikels. Der Anwendungsbereich des bestimmten Artikels erweiterte sich erheblich bereits im ausgehenden althochdeutschen Zeitalter. Seit Beginn der mittelhochdeutschen Zeit wird auch der unbestimmte Artikel regelmäßig gebraucht, vgl. im „Nibelungenlied“:

Ez wuohs in Burgonden ein viel edel magedîn . . . si wart ein schoene wîp „Es wuchs in Burgunden eine edle Jungfrau auf . . . sie wurde zu einer schönen Frau“.

Auf diese Weise entsteht seit Beginn der mhd. Zeit die Opposition zwischen dem Substantiv mit dem bestimmten Artikel und dem Substantiv mit dem unbestimmten Artikel, die die grammatische Kategorie der Bestimmtheit und Unbestimmtheit zu einer vollentwickelten Kategorie der Substantive prägt.

 

Das mhd. Adjektiv. Beim mhd. Adjektiv sind folgende Deklinationsformen zu unterscheiden:

1. starke Deklination: nominale Formen (z.B. Nom. Sg. Mask. blint), pronominale Formen (z.B. Nom. Sg. Mask. blinder);

2. schwache Deklination (z.B. Nom. Sg. Mask. blinde, Gen. Sg. Mask. blinden).

Die nominalen Formen der st. Flexion stimmen ursprünglich und teilweise noch im Mhd. mit der st. Flexion der Substantive überein.

Pronominale und nominale Formen können von ein und demselben Adjektivstamm gebildet werden. Die Pronominalflexion der Adjektive ist eine germ. Neuerung. Daß die nominalen Formen mit der Substantivflexion übereinstimmten, hat das Germ. dagegen mit anderen ide. Sprachen gemein.

Diese Übereinstimmung liegt vor im Nom. Sg. Mask./Fem./Neutr., im Akk. Sg. Neutr., im Gen. Sg. Mask./Neutr. und im Akk. Sg. Fem. Jedoch entsprechen die Endungen des Gen. Sg. Mask./Neutr. und des Akk. Sg. Fem. auch der pronominalen Flexion.

Mittelhochdeutsche Adjektivendungen

 

 

Maskulinum

Neutrum

Femininum

nominal

pronominal

nominal

pronominal

nominal

pronominal

Nom. Sg.
Gen.
Dat.
Akk.

-e
-en
-en
-en

-er
-es
-em
-en

-e
-en
-en
-e

-ez
-es
-em
-ez

-e
-en
-en
-en

-iu
-er
-er
-e

Nom. Pl.
Gen.
Dat.
Akk.

-en
-en
-en
-en

-e
-er
-en
-e

-en
-en
-en
-en

-iu
-er
-en
-iu

-en
-en
-en
-en

-e
-er
-en
-e

 

Komparation. Im Mhd. wird der Komparativ durch die Endung -er, der Superlativ durch die Endung -est gebildet:

kreftic - kreftiger - kreftigest

Da im Ahd. der Komparativ mit –iro/-ôro und der Superlativ mit –isto/-ôsto gebildet werden konnte, jedoch nur die Formen mit i-Umlaut des Wurzelvokals hervorriefen, haben nicht alle Komparative und Superlative im Mhd. Umlaut. So stehen z.B. nebeneinander: alt - alter/elter, junc - junger(e)/jünger(e) - jung(e)ste/jüng(e)ste, lanc - langer/lenger.

Suppletiv-Steigerung. Einige Adjektive bilden in fast allen indogermanischen Sprachen die Steigerungsstufen von anderen Stämmen, es sind die besonders häufig verwedeten gut, schlecht, groß, klein:

guot

bezzer(e)

bezzest, beste

übel

wirser(e)

wirsest, wir(se)ste

michel

mêre, mêrer(e), mêrre

meiste

lützel

minner(e), minre

min(ne)ste, minnest

 

Pronomen

Das Personalpronomen der 1. und 2. Person

 

 

1. Person

2. Person

Sing.

Nom.

ich

Gen.

mîn

dîn

Dat.

mir

dir

Akk.

mich

dich

Plur.

Nom.

wir

ir

Gen.

unser

iuwer, iur

Dat.

uns

iu, iuch

Akk.

unsich, uns

iuch

Im Mhd. wird im Akkusativ Plural der l. Person auch die Dativform uns verwendet, im Dativ Plural der 2. Person auch die Akkusativform iuch. Zum Nhd. hin setzen sich diese Formen ganz durch: Dat. Akk. Plur. uns, euch.

Das Personalpronomen der 3. Person

 

Maskulinum

Neutrum

Femininum

Sing.

Nom.

er

ez

siu, si, sie

 

Gen.

sîn, (es)

es, sîn

ire, ir

 

Dat.

ime, im

ime, im

ire, ir

 

Akk.

in

ez

sie, si

Plur.

Nom.

sie, si

siu, sie, si

sie, si

 

Gen.

ire, ir

ire, ir

ire, ir

 

Dat.

in

in

in

 

Akk.

sie, si

siu, sie, si

sie, si

Das Reflexivpronomen

Für die 1. und 2. Person werden im heutigen Deutsch die Formen des Personalpronomens auch als Reflexivpronomen verwendet. In der 3. Person steht im Nhd. die Form sich für Dat. und Akk. des Singulars und Plurals in allen Genera. Im Mhd. dagegen wurden die Numeri und Genera unterschieden: so heißt es etwa im Dat. Sing. Maskulinum und Neutrum im(e), im Femininum dagegen ir(e).

 

 

Maskulinum

Neutrum

Femininum

Sing.

Gen.

sîn

sîn

ir

 

Dat.

im, ime

im, ime

ir, ire

 

Akk.

sich

sich

sich

Plur.

Gen.

ir, ire

 

Dat.

in

 

Akk.

sich

Artikel und Demonstrativpronomen. Die bei der Substantivflexion angegebenen Artikelformen der, daz, diu usw. sind zugleich Demonstrativ- und Relativpronomen. Die Formen entsprechen in den Endungen weitgehend denen des Personalpronomens der 3. Person.

 

 

 

Maskulinum

Neutrum

Femininum

Sing.

Nom.

der

daz

diu

 

Gen.

des

des

dere, der

 

Dat.

deme, dem

deme, dem

dere, der

 

Akk.

den

daz

die

Plur.

Nom.

die

diu

die

 

Gen.

dere, der

dere, der

dere, der

 

Dat.

den

den

den

 

Akk.

die

diu

die

 

Das Interrogativpronomen. Das Interrogativpronomen hat dieselben Endungen wie das Demonstrativpronomen. Es tritt jedoch nur im Singular, und da nur in den Formen des Maskulinums und des Neutrums auf. Für das Femininum gelten die maskulinen Formen, also wer, wes, wem(e), wen. Der Form diu beim Demonstrativpronomen entspricht die Instrumentalform wiu, die fast nur noch in Verbindung mit Präpositionen vorkommt, z.B. mit wiu 'womit'.

 

 

Maskulinum/

Neutrum

Femininum

 

Nom.

wer

waz

Gen.

wes

wes

Dat.

weme, wem

weme, wem

Akk.

wen

waz

Das zusammengesetzte Demonstrativpronomen. Neben dem einfachen Demonstrativpronomen der, diu, daz, das auch Artikelfunktion übernimmt, steht ein ursprünglich aus denselben Formen und einer Verstärkungspartikel sa zusammengesetztes Demonstrativpronomen, das in der Gegenwartssprache als dieser vorliegt. Im Mhd. sind für manche Kasus viele Varianten vertreten, die auf Umgestaltungen der ursprünglichen Formen beruhen. Als Haupttonvokal setzt sich im Mhd. der Vokal i durch. Die Neutrumform diz (Nom. Akk. Sing.) enthält die Affrikata ts.

 

 

Maskulinum

Neutrum

Femininum

Sing.

Nom.

 

Gen.

 

Dat.

 

 

Akk.

dise

diser

dirre

diz

ditze

disiu

dises

dises

diser

dirre

diseme

disem

diseme

disem

 

diser

dirre

disen

diz

ditze

dise

Plur.

Nom.

Gen.

Dat.

Akk.

dise

disiu

dise

diser, dirre

disen

dise

disiu

dise

 

Possessivpronomen. Im Mhd. werden die Possessivpronomen mîn, dîn, sîn, unser und iuwer gebraucht, sîn wird bei der 3. Person für Maskulinum und Neutrum Sing. gebraucht, im Femininum und im Plur. aller Genera steht die Genitivform des Personalpronomens: ir. Diese wird gewöhnlich nicht flektiert.

Die Possessivpronomina zeigen die Flexion der Adjektive (pronominal/stark; nominal/schwach). Nach bestimmtem Artikel findet sich die starke (neben der nominalen/schwachen) Endung. Ähnlich wie bei den Adjektiven kann auch die endungslose Variante benutzt werden, und zwar im Nominativ Sing. aller Genera und im Akk. Sing. Neutrum.

 

 

1. Person

2. Person

3. Person

Singular

mîn

dîn

Mask. / Neutr: sîn [Fem.: ir]

Plural

unser

iuwer

[alle Genera: ir]

 

Syntax. Im mhd. Schrifttum blieben viele Eigentümlichkeiten des ahd. Satzbaus erhalten, die der deutschen Gegenwartssprache fremd sind. Zugleich verstärkten sich auch viele neue Entwicklungstendenzen, die sich bereits im Ahd. bemerkbar gemacht hatten. Vom Ahd. übernahm das Mittelhochdeutsche folgende Charakterzüge, die heute als archaisch wirken:

1) In der ritterlichen Dichtung herrscht dieselbe Freiheit in der Stellung der Attribute, die das Ahd. kennzeichnete; noch häufiger als im Ahd. werden dabei auch flexionslose Formen des Adjektivs gebraucht, z.B. „ein vil edet magedîn“ „ein sehr edles Mädchen“, „ein edel ritter guot“ „ein guter edler Ritter“.

2) Auch der Kasusgebrauch stimmt im wesentlichen mit dem ahd. Kasusgebrauch überein.

3) Die Stellung des Prädikats im einfachen und im komplexen Satz blieb, besonders in der ritterlichen Dichtung, trotz verstärkter Tendenz zur Regelung noch immer verhältnismäßig ungebunden.

Nur die Anfangsstellung des Prädikats im Aussagesatz war aus dem Gebrauch gekommen. Das Prädikat konnte aber noch immer nicht nur die zweite Stelle, sondern auch die dritte und manchmal auch die Schlußstellung einnehmen:

a) das Prädikat steht an der zweiten Stelle:

Ich weiz hie vil nâhen einen brunnen kalt“ „lch kenne hier ganz nahe einen Brunnen mit kaltem Wasser“;

b) das Prädikat steht an der dritten Stelle oder noch weiter vom Satzanfang entfernt:

Den troum si dô sagete ir muoter Uoten“ „Den Traum erzählte sie ihrer Mutter Ute“;

c) das Pradikat steht am Satzende:

An dem vierden morgen ze hove si dô rîten“ „Am vierten Morgen ritten sie zum Hof“.

4) Ebenso wie im Althochdeutschen steht oft die doppelte Negation:

Si ne gesach in leider dar nâch nimmer mêr gesund“ „Sie hat ihn leider nimmer mehr gesund gesehen“.

5) Gebräuchlich sind noch biverbale Wortgruppen sîn + 1. Partizip:

Mit klage ir helfende manic vrouwe was“ „Mit Klagen halfen ihr (waren helfend) viele Frauen“.

Zur modernen Satzstrnktur leiten folgende Entwicklungstendenzen hinüber:

1) Es verstärkt sich die Tendenz zum zweigliedrigen Satzbau, die bereizs das Ahd. kennzeichnete. Die subjektlose Satzform, die im Ahd. noch vorkam, wurde jetzt Ausnahme. Sie ist nur noch im Briefstil anzutreffen, dem sie auch in der deutschen Gegenwartssprache nicht fremd ist.

2) Auch die Tendenz zur unterschiedlichen Entwicklung der Wortstellung im einfachen und im komplexen Satz kommt im Mhd. stärker zur Geltung.

Was die Wortstellung im einfachen Satz anbetrifft, so waren bereits im Ahd. Ansätze zur Differenzierung der Wortstellung im einfachen Aussagesatz, einerseits, und im Frage- und Aufforderungssatz, andererseits, vorhanden. Obwohl die Anfangsstellung des Prädikats im Aussagesatz im Ahd. ziemlich verbreitet war, bestand noch in jener Zeit die Tendenz zur „gedeckten Anfangsstellung“ mittels der Adverbien thô 'da' und thâr 'dort' (z.B. Thô nam her skild indi sper „Da nahm er Schild und Lanze“).

Auf diese Weise wurde das Prädikat auch bei der Inversion des Subjekts auf die zweite Stelle verschoben, und es wurden die Voraussetzungen geschaffen für die Spezialisierung der Anfangsstellung des Prädikats als Prägemittel von Aufforderungs- und Fragesätzen ohne Fragewort.

Im komplexen Satz ist die Endstellung des Prädikats im Gliedsatz noch nicht allgemein, obwohl eine solche Tendenz unverkennbar ist. Häufig steht das Prädikat in der Mitte des Satzes. Auch die verbale Klammer ist noch nicht die Regel.

Französische Einflüsse während der höfischen Zeit (1150 - 1250). Das ständige Bestreben der deutschen Höfe, dem französischen Ideal zu entsprechen, evoziert auch viele sprachliche Entlehnungen. Das ideale Rittertum bzw. die Idee vom idealen Rittertum wird zuerst im altprovenzalischen Minnesang betont. Über das nördliche Altfranzösisch gelangt die neue Vorstellung von Gesellschaft in den deutschsprachigen Raum. Der rege Kulturaustausch passiert durch Reisen, Festlichkeiten etc.

Wieder lassen sich verschiedene Bereiche unterscheiden, denen besonders viele Entlehnungen zugeordnet werden können:

Geselligkeit: amies, amie 'Geliebte(r)', prisant 'Geschenk', Tanz, Reigen, joie 'Freude', Schalmei, Posaune.

Kampf und Ritterspiel: Turnier, Jost 'Zweikampf', Lanze, gabilôt 'kleiner Wurfspieß', turnzûne 'abgebrochenes Speerstück', Prinz, Baron, chevalier 'Ritter'.

Kleidung: Collier.

Wohnung: Kastell, Kastellan, Erker 'Schießscharte'.

Handel: Juwelen, Rosine, Safran.

Verben: logieren, regieren, parlieren (später zu Polier!), turnen, feien.

Adjektiva: fein, rund.

Suffixe: -ie > ei (z.B.: Fischerei, Zauberei), -lei (z.B.: Vielerlei, Allerlei).

deutsche Wortbildungen: z.B. Amourschaft.

Lehnbedeutung: höfisch < courtois. Roß < mhd. ros, ors < ahd. (h)ros, as. hros aus ger. *hrussa- n. auch: afr. hors, hars, hers.

 

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