Lektion 5

Vom Althochdeutschen zum Mittelhochdeutschen

Allgemeines. Bis vor kurzem setzte man den zeitlichen Rahmen dieser Periode länger: bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, deshalb begegnet man in unterschiedlichsten Quellen hauptsächlich 2 Periodisierungen. Zum Anfang des 11. Jh. vollziehen sich merkliche Veränderungen im gesellschaftlichen Leben Deutschlands, zu denen man auch die Entstehung neuer Existenzformen der deutschen Sprache zählt. Zu gleicher Zeit vollziehen sich die Veränderungen im phonetischen und grammatischen Bau des Deutschen, die die ahd. Periode abschließen. Die Innovationen in der sprachlichen Struktur seit dem Ende des 11. Jh. leiten weiteres Walten der deutschen Sprache ein.

Gesellschaftliche Verhältnisse in der mhd. Periode. Das 11. Jahrhundert war ein wichtiger Wendepunkt in der Geschichte Deutschlands. Um diese Zeit hat sich der Feudalismus in Ländern gefestigt. Das gesamte Leben im Lande war durch den feudalen Grund besetzt, durch die feudale Produktionsweise und durch die Aufspaltung der Gesellschaft in die Schichten der Feudalherren einerseits und der unfreien Bauern andererseits bestimmt. Nur im Norden und Süden Deutschlands gab es Reste eines freien Bauertums. Die Gesellschaft sah ungefähr folgender Weise aus: an der Spitze stand der König, unter ihm Hochadel (Herzöge, Markgrafen, Grafen, Bischöfe, Kurfürsten). Die Hauptmasse der Feudalen bildete der Ritteradel. Und unten befanden sich die breiten Massen der Bauern. Seit dem 11. Jh. aber entsteht im Rahmen der Feudalgesellschaft die weltliche ritterliche Kultur. Diese Zeit war durch die starke Verbreitung der Schicht des niederen Ritteradels gekennzeichnet.

Die Existenzformen des Mhd. Im Mhd. bestehen mündliche Mundarten, regionale Schreibsprachen (geschriebene Mundarten). Zu den wichtigsten Merkmalen des Mhd. zählt man Vorhandensein überregionaler, übermundartlicher Sprache. Es war die Dichtersprache. Sie wird auch als klassisches Mittelhochdeutsch bezeichnet. Dieser Sprache bedienten sich Dichter des Minnesangs. Sie vermieden Wörter, Laute, Strukturen, die von den meisten Deutschen nicht verstanden wurden (Hartman von Aue, Wolfram Äschenbach, Heinrich von Morungen, Gottfried von Strassburg). Man teilt das Mhd. in 3 Perioden: Frühmittelhochdeutsch(1050 - 1150); Klassisches Mittelhochdeutsch (1150 - 1250); Spätmittelhochdeutsch (1250 - 1350).

Latein war sowohl in der ahd. Periode, als auch in der mhd. Periode die Sprache, die am meisten im Geschäftsverkehr, in der Wissenschaft, in der kirchlichen Literatrur benutzt wurde. Als geschriebene Sprache war Latein die vorherrschende Sprache. Latein beeinflußte die deutsche Sprache grammatisch, lexikalisch, syntaktisch.

 

Der deutsche Sprachraum in der mhd. Periode. Die Expansionspolitik der deutschen Herrscher war vom Anfang an für die deutschen Kaiser typisch. Dadurch erweiterte sich das Territorium Deutschlands wesentlich. Zuerst erfolgte diese Ausweitung in westlicher und südwestlicher Richtung (Es wurden zwar Westfranken romanisiert, aber das deutsche Sprachgebiet dehnte sich im Südwesten auf das Rätoromanische Territorium aus). Vom 11. bis zum 14. Jh. erfolgte die Ausweitung des deutschen Territoriums vor allem durch die Ostexpansion. Schon im 10. Jh. begann die Unterwerfung der slawischen Gebiete, ostwärts der Elbe und Saale. Da waren die Mark Meißen und die Mark Lausitz gegründet. Im 12. Jh. wurden weitere Gebiete zwischen Elbe und Oder und an der Ostsee kolonisiert. Da entstanden die Markgrafschaft Brandenburg und die Herzogtümer Mecklenburg und Pommern.

 

Die Ostexpansion verstärkte sich im 13. Jh. Die Ritterorden (deutscher Orden und der Orden der Schwertbrüder) drangen nach Livland und Kurland vor. Im 12. und 13. Jh. wurden auch Teile von Böhmen und Mähren besetzt. Zwischen den 11. und 14. Jh. war deutsche Siedlung in die neubesetzten Territorien gekommen, im Südosten (Ungarn und Rumänien) hatten Deutsche aus mittelrheinischen Gebieten in Siebenbürgen fußgefasst. Auf diesen neuen Territorien entstanden neue Mundarten, die unter einem Begriff „Ostmitteldeutsch“ zusammengefaßt wurden. Diese Mundarten waren durch Mischungs- und Verschmälzungsprozesse gekennzeichnet. Das war darauf zurückzuführen, daß in dem Kolonialland Siedlersströme aus den verschiedenen deutschen Sprachräumen aufeinander trafen. So entstanden neue Mundarten, die Mischcharakter hatten.

 

Mittelhochdeutsche Mundarten

 

Hochdeutsche Territorialdialekte

Oberdeutsch:

1. Allemanisch.

2. Bairisch.

3. Ostfränkisch.

4. Südfränkisch.

Mitteldeutsch:

1.Westmittelhochdeutsche (alte Mundarten):

a) Mittelfränkisch: Ripuarisch, Moselfränkisch.

b) Rheinfränkisch, Pfälzisch, Hessisch.

2.Ostmitteldeutsch:

a) Thüringisch.

b) Obersächsisch.

c) Schlesisch (lausitzisch-schlesisch).

Niederdeutsche Territorialdialekte:

1. Niederfränkisch.

2. Niedersächsisch.

3. Brandenburgisch.

4. Mecklenburgisch.

5. Pommersch.

 

 

Querschnitt durch das phonologische System des Mhd.

 

Vokalphoneme

 

Kurze Vokale:

a

e

ë

ä

i

o

ö

u

ü

Lange Vokale:

â

ê,

ae,

î,

ô,

oe

û

iu

[y:]

Diphthonge:

ei

ou

ie

öu

(eu)

üe

 

 

 

 

Die neuen Vokalphoneme sind fettgedruckt.

Konsonantenphoneme

 

stimmlose Explosivlaute:

p

t

k

[kw]

stimmhafte Explosivlaute:

b

d

g

stimmlose Frikativlaute:

f

s

h

stimmhafte Frikativlaute:

w

[z]

Affrikaten:

pf

z

[ts]

Faringale:

h

Liquiden:

l

r

Nasale:

m

n

Die neuen Konsonantenphoneme sind [sch], [z] und labiodentales w [v].

Folgende Erscheinungen kennzeichnen den Unterschied zwischen dem Ahd. und dem Mhd.:

Die Abschwächung unbetonter Nebensilben. Die Abschwächung ist in dieser Phase die wichtigste Veränderung, denn sie hat großen Einfluß auf die Morphologie und die Phonologie. Zum einen verringert sich das Phoneminventar in den Nebentonsilben, zum anderen wird das Flexions- und Derivationssystem vereinfacht bzw. radikal umgestellt:

a)   Zusammenfall der phonologisch konditionierten Vorsilben bi-, ga- ~ gi-, za- ~ zi- ~ ze-, ur- ~ ir-, fur- ~ fir zu be-, ge-, ze-, er- und ver-, in denen der sog. Indifferenzvokal [e] steht.

b)  Zusammenfall der verschiedenen Flexionsendungen: ahd. leitis, leitês, leitos, leitîs (2. Sg. Präs, Konj. Präs., Prät., Konj. Prät.) werden alle zu leites(t). Ähnlich ist es in der Deklination.

c)   Wegfall unbetonter Mittelsilben: ahd. hêriro > mhd. herre.

d)  Es wurden neue Wortbildungsmittel notwendig: im ahd. konnte ein Adj. durch substantiviert werden. Seit dem Mhd. ist dazu eine Nachsilbe notwendig, wie etwa -heit, -igkeit > -keit, -ung.

 

 

Die Phonologisierung des Umlauts. Neue Vokalphoneme. Die Varianten der Vokalphoneme, die im Ahd. unter dem Einfluß des -j-(-i-)-Umlauts entstanden waren, übernahmen in der mhd. Zeit in Verbindung mit der Abschwächung des i zu e in den Endsilben, d.h. in der Flexion, eine sinnunterscheidende Funktion und wurden deswegen phonologisiert.

Als Beispiel soll die Pluralbildung bei den Substantiven der i-Deklination dienen: ahd. gast — gesti > mhd. geste; ahd. korb — korbi > mhd. körbe. Während im Ahd. die Hauptrolle bei der Bildung dieser Formen dem -i- zukam, gehört sie im Mhd. schon dem Umlaut. Sie verhütet auch die Homonymie von N. A. Pl. und D. Sg.:

ahd. N. Sg. korb — D. Sg. korbe — N. A. Pl. korbi

mhd. N. Sg. korb — D. Sg. korbe — N, A. Pl. körbe

 

Die neuen Vokalphoneme des Mhd sind folgende:

1) Kurze Vokale:

 

ä

der Sekundärumlaut des kurzen a (offener als das e): mähtec 'mächtig' (ahd. mahtig), ärze 'Erz' (ahd. aruzi, arizi, ariz);

ö

Umlaut des kurzen o: öl 'öl' (ahd. olei, oli), möchte (ahd. mohti);

ü

Umlaut des kurzen u: künec 'König' (ahd. kuning, kunig), gürtel 'Gürtel' (ahd. gurtil);

 

2) Lange Vokale

 

æ

Umlaut des â: mære 'Erzählung', 'Sage' (ahd. Mari, nhd. Märchen);

œ

Umlaut des ô: schœne 'schön' (ahd. skôni);

 

3) Diphthonge

 

öu, eu

Umlaut des Diphthongs ou: tröumen 'träumen' (ahd. troumen < *troumjan zu troum 'Traum');

üe

Umlaut des Diphthongs uo: güete 'Güte' (ahd. guoti).

 

Die Entwicklung des Umlauts zur inneren F1exion. Auf Grund des Umlauts entwickelte sich in den Wortformen vieler Wörter ein Wechsel der Vokalphoneme, der zu einem verbreiteten Mittel der Formenbildung, d.h. zur inneren Flexion wurde:

1) als Kennzeichen des Plurals, vgl.: ahd. gast - Pl. gesti 'Gäste'; kraft - Pl. - krefti 'Kräfte'; lamb - Pl. lembir 'Lämmer', entsprechend mhd. gast - geste, kraft - krefte, lamb - lember;

2) als Kennzeichen der Steigerungsformen des Adjektivs, vgl.: ahd. alt 'alt' - Komp. eltiro - Superl. eltisto, mhd. alt - elter - eltest;

3) als Kennzeichen des Präteritums Konjunktiv, vgl.: ahd. helfan 'helfen' - 1. P. Sg. Prät. Konj. hulfi '(ich) hälfe, hülfe', mhd. helfen - hülfe;

4) als Kennzeichen der 2. und 3. P. Sg. Präs. der starken Verben, vgl.: ahd. faran 'fahren' - 2. P. Sg. Präs. feris(t) '(du) fährst' - 3. P. Sg. Präs. ferit '(er) fährt', mhd. faren - 2. P. Sg. Präs. ferest - 3. P. Sg. Präs. feret.

 

Der Umlaut bekam auch große Verbreitung in der Wortbildung:

 

kraft 'Kraft' →

kreftic 'kräftig';

adel 'Adel'

edele 'edel' (ahd. adili);

hof 'Hof' →

hövesch 'höfisch', 'wohlerzogen';

gruoz 'Gruß' →

begrüesen 'begrüßen';

fallen 'fallen' →

fellen 'fällen'

Palatalisierung von [s] > [ò]. Seit der Mitte des 11. Jh. wird statt ahd. /sk, sc/ der Zischlaut /sch/ gesprochen. Vor /l,m,n,w/, nach /r/ und in den Verbindungen /st, sp/ wird /s/ außer im Inlaut ebenfalls zu /sch/, doch kommen sch-Schreibungen erst im 13. Jh. langsam auf: slange > schlange, smal > schmal.

a)   ohne Wegfall von k [sl] > [òl] (sl sch) slange > schlange;

b)  [sm] > [òm] (sm schm) smal > schmal;

c)   [sn] > [òn] (sn schn) snel > schnell;

d)  [sw] > [òw] (sw schw) geswinde > geschwinde;

e)   [sp] > [òp] (sp bleibt sp) spil;

f)    [st] > [òt] (st bleibt st) stellen.

Entwicklung des Phonems [z]. Um die Mitte des 13. Jh. wird s im Wortanlaut und im Inlaut vor Vokalen stimmhaft: [s]>[z], ohne daß diese Wandlung besonderen Ausdruck in der Schreibung findet: ahd. [s] sîn, mhd. sîn > nhd. sein [z].

 

Wandel des Halbvokals w. Im Ahd. und zu Beginn des Mhd. war w ein bilabialer Halbvokal, was die Formen ahd. seo 'See', G. swes, mhd. se, G. sewes bezeugen (der Halbvokal w wird im Wortauslaut vokalisiert). Im 13. Jh. entwickelt er sich zum labiodentalen stimmhaften Geräuschlaut.

Auslautverhärtung. Im Mhd. werden die phonetischen Unterschiede je nach Stellung der Konsonanten im Inlaut oder Auslaut genauer wiedergegeben als im Nhd. So werden die stimmhaften Laute a) im Auslaut und b) vor stimmlosen Lauten stimmlos gesprochen, also /b, d, g, v/ wie /p, t, c(=k), f/, und zwar im Mhd. wie im Nhd. Im Mhd. werden diese stimmlosen Laute auch geschrieben: z.B. mhd. tac – G. tages = nhd. Tag – G. Tages.

 

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