Lektion 4

Substantiv

Allgemeines. Die althochdeutschen Substantive werden, wie im Neuhochdeutschen, nach den drei Kategorien Genus, Kasus und Numerus flektiert. Es gibt drei Genera (Maskulinum, Neutrum, Femininum), vier Kasus (Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ; ein weiterer Kasus, der Instrumental, ist im Althochdeutschen nur in Resten vorhanden) und zwei Numeri (Singular und Plural). Die Substantivflexion (auch Deklination genannt) wird in Klassen eingeteilt, in denen die verschiedenen Genera vertreten sind und die sich durch bestimmte Merkmale unterscheiden. Die genaue Einteilung der Klassen geht auf voralthochdeutsche Verhältnisse zurück.

Die germanischen Stammbildungselemente als Grundlage der althochdeutschen Einteilung der Substantivflexion. Die althochdeutsche Einteilung der Substantivflexion beruht auf germanischen Flexionsverhältnissen, wie sie am Gotischen deutlich beobachtbar sind. Jede flektierte Form eines Substantivs bestand aus drei Elementen, die in der Gegenüberstellung gleicher Flexionsformen erkennbar werden:

 

Gen. Sing.

Mask.

han

-in

-s

'des Hahnes'

 

Neutr.

hairt

-in

-s

'des Herzens'

Fem.

tugg

-ôn

-s

'der Zunge'

Fem.

gib

-s

'der Gabe'

Akk. Plur.

Mask.

dag

-a

-ns

'die Tage'

 

 

gast

-i

-ns

'die Gäste'

 

sun

-u

-ns

'die Söhne'

 

An erster Stelle steht in den Beispielen jeweils die Wurzel, das die lexikalische Bedeutung tragende Grundmorphem, zum Beispiel dag-. Dieselbe Wurzel dag kann in verschiedenen Wörtern auftreten; im Ahd. steht neben dem Substantiv tag zum Beispiel ein schwaches Verb tagen 'Tag werden'.

An letzter Stelle der gotischen Beispiele steht die Flexionsendung: -s für den Genitiv Singular, -ns für den Akkusativ Plural.

Zwischen Wurzel und Flexionselement steht jeweils ein wortbildendes Element, das in zahlreichen weiteren Wörtern vorkommt und so klassenbildend wirkt: dag-a-ns, stain-a-ns, wulf-a-ns.

Das an die Wurzel antretende Element heißt Stammbildungselement; die Kombination aus Wurzel und Stammbildungselement wird Stamm genannt. Das germanische Stammbildungselement a bildet Substantive mit maskulinem und neutralem Genus, die als a-Stämme bezeichnet werden. Schematisch lässt sich die morphologische Struktur von dagans wie folgt darstellen:

dag-                Wurzel

-a-         Stammbildungselement

-ns -                Flexionselement

Für die germanische Sprachstufe sind nach den verschiedenen Stammbildungselementen verschiedene Klassen der Substantivflexion zu unterscheiden. Die Stammbildungselemente kennzeichnen dabei die verschiedenen Klassen:

1. n-Stämme: man vergleiche zum Beispiel die gotischen Formen Gen. Sing. han-in-s, hairt-in-s, tugg-ôn-s. Von n-Stämmen kann deshalb gesprochen werden, weil das Stammbildungselement auf n ausgeht. Die Klasse der n-Stämme wird auch als schwache Deklination bezeichnet.

2. ô-Stämme: z.B. gotisch Gen. Sing. gib- ô-s.

3. a-Stämme: z.B. gotisch Akk. Plur. dag- a-ns.

4. i-Stamme: z.B. gotisch Akk. Plur. gast- i-ns.

5. u-Stämme: z.B. gotisch Akk. Plur. sun- u-ns.

Die Klassen der ô-, a-, i- und u-Stämme gehören der sogenannten starken Deklination an.

Daneben gibt es noch eine Gruppe von Substantiven, die das Flexionselement gleich an die Wurzel anschließt, das heißt, die kein Stammbildungselement aufweist. Diese Substantive heißen daher auch Wurzelnomina, z.B. got. Gen. Sing. Mask. mans:

man                  Wurzel

s               Flexionselement.

 

Die althochdeutsche Substantivflexion wird nach den verschiedenen oben genannten Klassen eingeteilt.

 

Deklinationsparadigmen im Althochdeutschen

Klasse

Maskulinum

Neutrum

Femininum

Singular

Plural

Singular

Plural

Singular

Plural

1 -n

der boto

des boten
demo boten
den boton

dia boton
dero botôno
dêm botôm
dia boton

daz herza
des herzen
demo herzen

diu herzen
dero herzôno
dêm herzôm
diu herzun

diu zunga
dera zungûn
deru zungûn
dia zungûn

dio zungûn
dero zungôno
dêm zungôm
dio zungûn

2 -ô

 

diu geba
dera geba
deru gebu
dia geba

dio gebâ
dero gebôno
dêm gebôm
dio gebâ

3 -a

der tag
des tages
demo tage
den tag

dia taga
dero tago
dêm tagum
dia taga

daz wort
des wortes
demo worte
daz wort

diu wort
dero worto
dêm wortum
diu wort

 

4 -i

der gast
des gastes
demo gaste
den gast

dia gesti
dero gestio
dêm gestim
dia gesti

 

diu kraft
dera krefti
deru krefti
dia kraft

dio krefti
dero kreftio
dêm kreftim
dio krefti

Hier zeigt sich, daß die Akzentfestlegung auf den Wortanfang bereits für eine Verwischung und Vereinfachung sowie einen Wegfall einzelner Formen gesorgt hat; der Artikel, der hier dazugesetzt ist, brauchte im ahd. nicht verwendet zu werden, so daß eine isolierte Form nicht immer eindeutig einem Kasus zugeordnet werden kann. Dennoch ist die Kasuskennzeichnung relativ gut erkennbar, wohingegen eindeutige Numerus- und Genuskennzeichnung nicht vorhanden sind.

Was die Pluralbildung anbetrifft, so traten mehrere Sonderklassen auf, von denen eine für die weitere Entwicklung besonders wichtig wurde:

Neutrum

Singular

Plural

daz lamb
des lambes
demo lambe
daz lamb

diu lembir
dero lembiro
dêm lembirum
diu lembir

-ir- ist ein Stammbildungselement, das im Singular weggefallen ist. Es löst im Pl. den Umlaut aus, und wird so später Vorbild für eine neue Art der Pluralbildung. Umlaut + (abgeschwächtes) -er wird im mhd. zu einem neuen Pluralkennzeichen in Wörtern, die zuvor keinen Umlaut hatten (nhd. Sg - Pl. Wort - Wörter, Wald - Wälder).

 

Adjektiv. Ahd. Adjektive haben drei grammatische Kategorien, die an ihnen ausgedrückt werden: Kasus, Numerus, Genus. Wenn man sich aber das Flexionsparadigma der ahd. Adjektive ansieht, so gibt es für jede der 24 Positionen zwei Formen, eine sogenannte nominale (schwache) und eine pronominale (starke) Form. Die zwei Formen waren schon im Germ. vorhanden und hatten die Funktion, die heute durch die Artikel wahrgenommen wird. Eine nominale Form war individualisierend, eine pronominale Form generalisierend. Z.B. ahd.: kilaubu in kot fater almahticun „...den allmächtigen“ versus in hohan berg „(irgend)einen hohen Berg“ oder nioman sentit niowan wîn in alte belgi „niemand füllt jungen Wein in alte Schläuche“.

Althochdeutsche Adjektivendungen

 

Maskulinum

Neutrum

Femininum

nominal

pronominal

nominal

pronominal

nominal

pronominal

Nom. Sg.
Gen.
Dat.
Akk.

-o
-en
-en
-on

-êr
-es
-emo
-an

-a
-en
-en
-a

-az
-es
-emo
-az

-a
-ûn
-ûn
-ûn

-iu
-era
-eru
-a

Nom. Pl.
Gen.
Dat.
Akk.

-on
-ôno
-ôm
-on

-e
-ero
-êm
-e

-un
-ôno
-ôm
-un

-iu
-ero
-êm
-iu

-ûn
-ôno
-ôm
-ûn

-o
-ero
-êm
-o

Wie die Tabelle zeigt, wirkte sich auch hier die Abschwächung der Nebensilben auf die Morphologie aus: Formen wurden uneindeutig oder fielen zusammen. Um die alte Unterscheidung individuell / generell weiter ausdrücken zu können, mußten nun Umschreibungen mit Demonstrativpronomen (indiv.) bzw. Zahlwort ein (gener.) verwendet werden. Daraus entstanden später die Artikel.

Steigerung der Adjektive

Regelmäßige Steigerung. Im Ahd. gibt es zwei Möglichkeiten der Steigerung:

a) den Komparativ mit der Endung -iro, den Superlativ mit -isto;

b) den Komparativ mit der Endung -ôro, den Superlativ mit -ôsto.

Eine genaue Unterscheidung dieser beiden Bildungsweisen nach ihrer Anwendung kann nicht vorgenommen werden, jedoch sollen einige Beispiele angeführt werden. Bei den einsilbigen Adjektiven bilden die ja/jo-Stämme Komparativ und Superlativ fast durchweg mit den i-Formen, die a/ô-Stämme dagegen sowohl mit den i- als auch mit den ô-Formen. Es heißt also:

suozi (ja-Stamm) - suoziro - suozisto aber: hêr (a-Stamm) - hêriro - hêristo oder - hêrôro hêrôsto.

Die mehrsilbigen Adjektive weisen überwiegend die Formen mit -ô- auf, z.B. managfalt - managfaltôro - managfaltôsto.

Komparativ und Superlativ werden im Ahd. im Gegensatz zum Nhd. nur schwach dekliniert.

Unregelmäßige Steigerung. Einige Adjektive weisen keine regelmäßigen Komparativ- und Superlativformen auf. Diese Adjektive bilden den Komparativ und den Superlativ von anderen Wortwurzeln, die ihrerseits keinen Positiv haben:

guot 'gut' - bezziro- bezzisto

ubil 'schlecht' - wirsiro – wirsisto

mihhil 'groß' - mêro (mêriro, mêrdro) – meisto

luzzil 'klein' - minniro - minnisto

Daneben gibt es noch eine Reihe von Steigerungsformen, die nicht von Adjektiven, sondern von Adverbien und Präpositionen gebildet worden sind. Sie werden aber gesteigert als Adjektive verwendet. So gehören z.B. zum Adverb êr 'vorher' êriro '(der) frühere' und êristo ' (der) früheste, erste'

 

Die Entwicklung des Artikels. Die Kategorie der Bestimmtheit und Unbestimmtheit. Die Entwicklung des Artikels beginnt im Ahd. Zuerst entwickelt sich der bestimmte Artikel ther, thiu, thaz, dem ein Demonstrativpronomen zugrunde liegt. Der bestimmte Artikel ist in der ahd. Zeit erst im Werden. Er wird nur mit konkreten Substantiven gebraucht, um einen einzelnen bestimmten Gegenstand zu kennzeichnen:

Sum man habeta zuuene suni. Quad thô der iungôro fon then themo fater... Ein Mann hatte zwei Söhne. Da sagte der Jüngere von ihnen dem Vater...“

Wenn es sich dagegen um einen unbekannten, unbestimmten Gegenstand oder eine unbekannte Person handelt, wird das Substantiv ohne Artikel gebraucht:

Furfarenti gisah man blintan „Im Vorbeigehen sah er (einen) blinden Mann“.

Die Abstrakta haben in dieser Periode der Sprachentwicklung noch keinen Artikel, z.B. forhta 'Furcht', maht 'Macht', guot 'das Gute'; artikellos sind auch die Stoffnamen, z.B.: silabar 'Silber', uuîn 'Wein' und die Unika, z.B. erda 'Erde', himil 'Himmel' u. a.

Daß der Artikel noch keine entwickelte grammatische Kategorie ist, geht daraus hervor, daß es keine regelmäßige Opposition des bestimmten Artikels dem unbestimmten gibt. Die artikellose Form des Substantivs ist noch mehrdeutig; bei konkreten Substantiven dient sie als Ausdruck der Unbestimmtheit, in allen anderen Fällen ist sie neutral gegenüber der Bestimmtheit oder Unbestimmtheit des Substantivs. Erst gegen Ende der ahd. Periode erweitert sich der Gebrauch des Artikels. In dieser Zeit ist bereits der bestimmte Artikel vor Abstrakta, vor Stoffnamen und beim generalisierenden Gebrauch des Substantivs anzutreffen sowie vor den Unika:

Uuir uuizzen, daz tia erda daz uuazzer umbegât unde der fierdo teil nahôr obenân erbarôt ist, an demo sizzent tie mennisken „Wir wissen, daß die Erde von dem Wasser umgeben ist und daß etwa der vierte Teil davon oben nicht bedeckt ist, dort leben die Menschen“.

Im Ahd. kommen bereits vereinzelte Formen des unbestimmten Artikels vor:

Einan kuning uueiz ih, heizsit her Hluduîg „lch weiß einen König, er heißt Ludwig“.

Doch der regelmäßige Gebrauch des unbestimmten Artikels entwikkelt sich erst in der mhd. Zeit.

 

Pronomen

 

Personalpronomen. Die Personalpronomen gehören zur ältesten Schicht des indoeuropäischen Wortbestandes. Einen ganz besonderen Deklinationstyp weisen die Personalpronomen der 1. und 2. Person auf. Ihre Kasusendungen kommen außer bei ihnen nirgends mehr vor. Der Nominativ und die obliquen Kasus sind von verschiedenen Stämmen gebildet.

 

1. P. Sg.

2. P. Sg.

1. P. Pl.

2. P. Pl.

N. ih

du (dü)

wir

ir

G. mîn

dîn

unser

iuwer

D. mir

dir

uns

iu

A. mih

dih

unsih

iuwih

Die Personalpronomen der 3. Person sind etymologisch sehr eng mit den Demonstrativpronomen verbunden und haben mit ihnen eine gleiche Kasusbildung.

Das Pronomen er lautet im Bairischen und im Alemannischen er, im Altsächsischen he (vgl. e. he), im Fränkischen he, her. Die literatursprachliche Form der Gegenwartssprache ist also süddeutscher Herkunft.

Possessivpronomen. Die Possessivpronomen sind vom Stamm der obliquen Kasus der Personalpronomen gebildet. Sie lauten im Ahd. mîn 'mein', dîn 'dein', sîn 'sein' (m. und n.), iro 'ihr', unsêr 'unser', iuwêr 'euer', iro 'ihr' (Pl.).

Die Possessivpronomen werden nach dem Deklinationsschema der Demonstrativpronomen und anderer Pronomen sowie des bestimmten Artikels dekliniert. Im N. Sg. m. und im N. A. Sg. n. haben sie aber die Nullflexion.

 

Singular

Plural

Mask.

Neutr.

Fem.

Mask.

Neutr.

Fem.

N.

mîn(er)

miniu

mîniu

mîne

mîniu

mîno

G.

mînes

mînera

mînero

D.

mînemu (-o)

mîneru (o)

mînem (en)

A.

mînan

mina (az)

mîna

mîne

mîniu

mîno

 

Reflexivpronomen. Das Reflexivpronomen sih ist eine Akkusativform, die mit der Zeit auch als ein Dativ zu fungieren beginnt.

Demonstrativpronomen. Die Demonstrativpronomen sind ther, der 'der', desêr 'dieser', jenêr 'jener', der selbo 'derselbe', sulîhêr, solîhêr 'solcher'.

Da sich aus dem Demonstrativpronomen ther, der der bestimmte Artikel und das Relativpronomen entwickeln, verbreitet sich neben dem einfachen ther immer mehr das Pronomen desêr, das durch Zusammensetzung von ther, der und der Verstärkungspartikel se gebildet ist.

Die Pronomen ther (der), desêr, jenêr, solîhêr werden nach einem gemeinsamen Deklinationsschema flektiert:

 

Singular

Plural

Mask.

Neutr.

Fem.

Mask.

Neutr.

Fem.

N.

der

daz

diu

dê (dea, dia, die)

diu

deo, dio

G.

des

dera (-u, -o)

dero

D.

demu (-o)

deru (-o)

dêm (-n)

A.

den

daz

dea (dia, die)

dê (dea, dia, die)

diu

deo, dio

 

Das Interrogativpronomen im Ahd. Das Interrogativpronomen tritt nur im Singular, und da auch nur in den Formen des Maskulinums und des Neutrums auf. Für das Femininum gelten die maskulinen Formen:

 

Sing.

Maskulinum/

Femininum

Neutrum

Nom.

wer

waz

Gen.

wes

wes

Dat.

wemu, wemo

wemu, wemo

Akk.

wenan, wen

waz

 

Im älteren Ahd. ist meist noch das dem w vorausgehende h bewahrt: hwer, hwaz usw.

Numerale

Grundzahlen. 1 - ein flektiert wie ein Adjektiv; 2 - zwêne (m.), zwei (n.), zwâ, zwô (f.) - G. zweio, D. zweim (-n), A. = N.; 3 - drî (m.), driu (n.), drîo (f.) - G. drîo, D. drim (-n), A.= N. Die Grundzahlen 4 - fior, 5 - fimf, 6 - sehs, 7 - sibun, 8 - ahto, 9 - niun, 10 - zehan, 11 - einlif, 12 - zwelif sind flexionslos. Die Grundzahlen 13 - 19 sind zusammengesetzte Wörter mit der zweiten Komponente zehan 'zehn': 13 - drîzehan, 14 – fiorzehan u.a.

Die Grundzahlen 20 - 90 sind etymologisch zusammengesetzte Wörter mit der zweiten Komponente -zug- 'Zehner'; 20 - zweinzug, 30 - drîzug, 40 – fiorzug u.a.

Das Hundert wird mit dem Substantiv hunt (d. hundert) bezeichnet, daher: 200 - zwei hunt, 300 - driu hunt usw. Das Tausend wird mit dem Substantiv dûsunt, thûsunt bezeichnet.

Ordnungszahlen. Die meisten Ordnungszahlen sind von den Grundzahlen durch Suffixe abgeleitet. Die Ordnungszahlen 3 - 19 werden mit dem Suffix -t abgeleitet: dritto 'dritter', fiorto 'vierter', finfto 'fünfter', sehsto 'sechster' usw.

Von den Zehnern, Hunderten und Tausenden werden die Ordnungszahlen mit dem Suffix des Superlativs -ôst abgeleitet: zweinzugôsto 'zwanzigster', drizugôsto 'dreißigster', fiorzugôsto 'vierzigster' usw. Alle Ordnungszahlen werden im Ahd. wie schwache Adjektive dekliniert.

 

Syntax. In der Entwicklung der Syntax der deutschen Sprache sind zwei Haupterscheinungen festzustellen. Zum einen wird der synthetische Satzbau mehr und mehr vom syntetischen zum analytischen Satzbau verdrängt, Artikel, Personalpronomina, Hilfs- und Modalverbkonstruktionen u.ä. treten hinzu. Gleichzeitig bewirkt der Verfall der Flexionssysteme (insbesondere der Kasusverfall) eine rigidere Satzstellung. Satzglieder, die zuvor an jeder Position stehen konnten, sind nun auf bestimmte Positionen festgelegt.

Infinitivkonstruktionen. Im Ahd. gibt es wie im Nhd. den unflektierten Infinitiv als Teil des Prädikats: her fragen gistuont „er begann zu fragen“. Daneben tritt der Inf. auch flektiert als Gen. und Dat. auf. Der Gen. des Infinitivs ist in der Verwendung dem Nhd. ähnlich, z.B. in des tihtonnes reini „in der Schönheit des Dichtens2, in thero zîti des rouhennes „zur Zeit des Räucherns“. Der Dat. wird im Ahd. immer mit der Präposition zi gebraucht und hat meist finalen Sinn: quâmun zi besnîdanne thaz kind. Die Gruppe zi besnîdanne kann nicht substantivisch übersetzt werden (falsch: zum Beschneiden), sondern nur verbal: „sie kamen, um das Kind zu beschneiden“. Infinitivgruppen mit zi können auch Objekt sein: eno ni brâhta imo uuer zi ezzanna „hat ihm etwa jemand zu essen gebracht“.

Partizipialkonstruktionen. Häufiger als im Nhd. werden im Ahd. Partizipien als Adverbialbestimmungen verwendet. Sie werden oft mit Konjunktionalsätzen übersetzt: thanân thô Zacharias uuard gitruobit thaz sehenti „da war Zacharias verwirrt, als er das sah“. Aber auch Koordination oder relativischer Anschluß ist möglich: inti al thiu menigî uuas desfolkes ûzze, betônti in thero zîti des rouhennes „und die ganze Menge des Volkes war draußen und betete zur Zeit des Räucherns“; araugta sih imo gotes engil, stantenti in zeso thes altares „es zeigte sich ihm Gottes Engel, der zur Rechten des Altars stand“. Solche Konstruktionen sind besonders häufig mit dem Part. Präs. Doch kommen sie auch mit dem Part. Prät. vor: intigimanôt in troume „und nachdem er im Traum gemahnt worden war“.

Satzgliedstellung. Subjekt, Objekte und Umstandsergänzungen sind im Ahd. ebenso wie in der Gegenwartssprache beweglich; ihre Stellung im Satz ist auch in jener Zeit durch den kommunikativen Inhalt des Satzes bedingt. Auf diese Weise kann also die erste Stelle im Satz von den verschiedenen Satzgliedern besetzt sein. Die Zweitstellung des finiten Verbs im Aussagehauptsatz ist im Ahd. noch nicht fest, wenn auch sehr häufig: her uuas heroro man; ih heittu Hadubrant; einan kuning uueiz ih. Daneben ist aber auch - im Gegensatz zum Nhd. - die Anfangsstellung des finiten Verbs gebräuchlich: uuas liuto filu in flize „es gab viele Völker mit Fleiß“, araugta sih imo thie engil „es zeigte sich ihm der Engel“. Im Aufforderungssatz ist die Erststellung des finiten Verbs auch im Ahd. schon fest: trôstet hiu gisellion „tröstet euch, Gefährten“, gib mir trinkan. Damit deutet sich bereits die Tendenz an, die Satzarten strukturell zu differenzieren.

Satzgliedstellung im Gliedsatz. Die im Nhd. typische Endstellung des finiten Verbs bei eingeleiteten Gliedsätzen ist auch ahd. schon häufig, aber noch nicht die Regel: thaz sie iro namon breittin „damit sie ihre Namen verbreiteten“, aber: thaz sie ni wesen eino thes selben adeilo „damit nicht sie allein dessen nicht teilhaftig sind“.

Verknüpfung im zusammengesetzten Satz. Im Ahd. gibt es Satzverbindungen und Satzgefüge. Die Anzahl der Modelle beiordnender und unterordnender zusammengesetzter Sätze ist natürlich viel geringer als in der Gegenwartssprache; ihre Struktur ist weniger beständig.

Die Satzverbindung kann ohne und mit Konjunktion gebildet sein. Ohne Konjunktion: Sang uuas gisungan, uuîg uuas bigunnan, bluot skein in uuangôn: spilôdun ther Vrankon.

Mit Konjunktion: Her ist uuarlîhho mihhil fora truhtîne inti uuîn noh lîd ni trinkit inti heilages geistes uuirdit gifullit „er wird wahrlich groß vor dem Herrn sein und wird nicht Wein noch Obstwein trinken, und er wird erfüllt vom heiligen Geist“.

Die gebräuchlichsten koordinierenden Konjunktionen sind inti 'und', ioh 'und, auch', ouh 'auch', doh 'doch', abur 'aber', odo 'oder'. Im Gegensatz zum Nhd. ist ihre Zahl gering. Die koordinierenden Konjunktionen im Ahd. haben überwiegend kopulativen und adversativen Sinn.

Es gibt im Ahd. für alle Satzglieder Gliedsätze, also Subjekt-, Objekt-, Prädikativ-, Adverbial- und Attributsätze. Ihrer Verknüpfung nach werden unverbundene Sätze, Relativsätze und Konjunktionalsätze. Die Endstellung des Prädikats im Gliedsatz, was die Gegenwartssprache prägt, gilt im Ahd. noch nicht als Regel. Doch kam sie in den Gliedsätzen schon häufig vor: Thu weist, thaz ih thih minnon Du weißt , daß ich dich liebe.“

Da die Endstellung des Prädikats nur in Gliedsätzen vorkommt, wird sie allmählich zum Prägemittel des Gliedsatzes.

Negation. Älteste Negationspartikel im Deutschen ist ahd. ni, mhd. ne (mit den Varianten en, in, n, ne), die unmittelbar vor dem Verb stand und mit ihm verbunden werden konnte. Pleonastisch kann seit dem Spätalthochdeutschen niht hinzutreten, seit dem 12. Jh. geschieht es fast regelmäßig. Eine solche doppelte oder auch mehrfache Verneinung hat jedoch keine stilistische Bedeutung, und keineswegs ist es eine Verstärkung; z.T. wird jedes wichtige Satzglied verneint, ohne daß eine Verstärkung vorliegt: ich wil iu geheizen unde sagen daz iu nieman niht entuot, „... daß Euch niemand etwas tun wird“.

Das Verhältnis von ne und niht verschiebt sich schon im 13. Jh., so daß als Negationspartikel ne häufiger wegfällt und schließlich nur niht bleibt.

 

Die Zweite lateinische Welle (ca. 500 - 800 n. Chr.). Dieser Kontakt ist geprägt durch die angelsächsisch-fränkische Mission. Dementsprechend fallen die Lehnwörter großteils in den liturgischen Bereich. z.B.: Priester, Probst, Pfründe, Küster, Dom, Münster, Kapelle, Kloster, Abt, Mönch, Nonne, Prälat (= Klosterwesen), Beichte < ahd. bi-jiht (jehan 'sagen'; daher eine Lehnübersetzung aus lat. confessio), Gewissen < lat. conscientia (Lehnübersetzung), Samstag < gr. sábbton < hebr. sabbat= (andere Formen: Satertag < Lehnübersetzung von lat. Saturni dies, Sonnabend < Lehnübersetzung).

 

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