Lektion 2
Vom Germanischen zum Althochdeutschen
Frühgeschichte der deutschen Sprache. Mit dem 6. Jh. beginnt die Frühgeschichte
der deutschen Sprache. Vorausgegangen war im 3. und 4. Jh. die Integration der
westgermanischen Einzelstämme zu großen Stammesverbänden. Die frühere
Autarkie war immer mehr in Widerspruch geraten zu dem Entwicklungsstand der
Produktivkräfte und den ökonomischen und gesellschaftlichen
Bedürfnissen der Stämme. Die Tausch- und Handelsbeziehungen gingen
bereits weit über die Grenzen der einzelnen Stämme hinaus. Dazu kamen
militärische Gesichtspunkte, die anstelle der früheren lockereren
Kriegsbündnisse, die bald wieder zu zerfallen pflegten, engere und festere
Zusammenschlüsse verlangten. Es war notwendig geworden, das
vergrößerte Wirtschaftsgebiet zu sichern, besonders im Hinblick auf
die sich entwickelnde eigene Warenproduktion und auf die Verbindungen mit der
gewerbetreibenden staatlichen und privaten Wirtschaft im Bereich des Imperium
Romanum. Der Zusammenschluß von Stämmen zu größeren
Einheiten war eine zwangsläufige Folge dieser Entwicklung und entsprach
dem wirtschaftlichen Interesse aller im Stammesverband zusammenlebenden
Stämme, auch wenn diese vorerst noch wirtschaftlich selbständig
blieben. Die ältesten der auf diese Weise entstandenen
Stammesvereinigungen waren der alemannische, der fränkische und der
sächsische Stammesverband, die den Südwesten, die Mitte und den
Nordwesten des späteren deutschen Sprachgebietes einnahmen. Weitere
Großstämme waren die der Baiern, Thüringer und Friesen.
Mit dem Ende des 4. Jh. begannen die tiefgreifenden
Umwälzungen, die unter dem Namen der Großen
Völkerwanderung zusammengefasst werden. Wenn auch die damals zwischen Rhein und
Oder wohnenden germ. Stämme und Stammesverbände kaum unmittelbar in
diese Vorgänge einbezogen wurden, so war doch diese Zeit auch für sie
insofern von größter Bedeutung, als sich aus den
Stammesverbänden Völkerschaften entwickelten. Auch auf dem Gebiet des
heutigen Deutschlands wurde die Völkerwanderungszeit zum Schmelztiegel
für die Stammesverbände; die Integration der Stämme zu
Stammesverbänden fand ihre Fortsetzung in der Konsolidierung zu
Völkerschaften.
Der althochdeutsche
Sprachraum und die althochdeutschen Territorialdialekte. Die Gränzen der
althochdeutschen Territorialdialekte wurden von den
Herzogtümern bestimmt.
Alemannisch. Im
Südwesten des Reiches lag das Herzogtum Schwaben (nach dem alten Stamm der Sweben benannt). Es erstreckte sich über das Territorium des heutigen
Baden-Württemberg, über den heutigen
deutschsprachigen Teil der Schweiz und seit 925 über den Hauptteil des Elsaß. Der Territorialdialekt
des Herzogtums Schwaben heißt Alemannisch.
Bairisch. Im Südosten, östlich
des Lechs (Nebenfluß der Donau) lag das Herzogtum Bayern. Es erstreckte
sich über den größten Teil des
heutigen Bayern und über das heutige Österreich. Sein Territorialdialekt heißt Bairisch. Bairisch und
Alemannisch bilden den Grundstock der oberdeutschen Dialekte.
Fränkisch. Der fränkische Dialekt wurde in den
Herzogtümern Franken und Lothringen
gesprochen. Franken lag nördlich von Schwaben,
im mitteldeutschen Raum. Es erstreckte sich
über die heutigen westdeutschen Länder Rheinland-Pfalz, Hessen, die Landschaft Franken im Nordwesten Bayerns
und grenzte im Norden und Nordwesten an das
Herzogtum Lothringen. Auf der großen Fläche, die der
fränkische Dialekt einnahm, wies er mehrere Abstufungen vom Oberdeutschen
zum Niederdeutschen auf; dementsprechend wird er in einige Unterdialekte
(Mundarten) gegliedert. Zum Oberdeutschen zählt man die fränkischen
Mundarten, die an der fränkisch-schwäbischen und an der
fränkisch-bayrischen Grenze liegen, und nämlich
Südfränkisch und Ostfränkisch.
Zur
mitteldeutschen Dialektgruppe gehören das Rheinfränkische in der
Pfalz (Mainz, Frankfurt, Worms, Speier) und das Mittelfränkische (Koblenz,
Trier, Luxemburg, Saargebiet, Köln, Aachen).
Zur
niederdeutschen Dialektgruppe gehört das Niederfränkische im Raum von
Kleve (heute an der deutsch-niederländischen Grenze im Land Nordrhein-Westfalen),
im ganzen Nordosten des Herzogtums Lothringen (das heutige Nieder- und
Mittelbelgien: Flandern und Brabant) und im östlichen Teil des Herzogtums
(in den heutigen Niederlanden). Es grenzt im Osten an das Sächsische.
Sächsisch. Das
Herzogtum Sachsen lag im Norden des Reiches. Es erstreckte sich von der Elbe
westwärts bis zur Ems über das Territorium des heutigen
Schleswig-Holstein, Niedersachsen, über den westlichen Teil
Sachsen-Anhalts, südwärts bis zum Harz.
Da
Sachsen erst am Anfang des 9. Jh. nach
den Sachsenkriegen Karls des Großen (772—804) dem Frankenreich
angegliedert war, bewahrte das Altsächsische am Anfang der schriftlichen
Überlieferung noch die Stellung einer selbständigen altgermanischen
Sprache gegenüber dem Althochdeutschen. Das bedeutendste Denkmal des
Altsächsischen ist das Poem Heliand
(„Der Heiland“), das um 830 im Auftrag Ludwigs des Frommen, des Sohnes Karls
des Großen, geschrieben wurde und der Propaganda des Christentums unter
den Sachsen dienen sollte.
Die
Annäherung des Altsächsischen an das Althochdeutsche begann bereits
im 9. Jh. Sie vollzog sich unter dem Einfluß des fränkischen
Dialekts, der schon im „Heliand“ bemerkbar ist. Im 10. Jh., als die
sächsischen Herzöge deutsche Könige und römische Kaiser
wurden (919—1024), nahm der Einfluß des Althochdeutschen zu. Infolge der
Konsolidierung der deutschen Nationalität entwickelte sich das
Altsächsische immer mehr zu einem Territorialdialekt der deutschen Sprache
und bildete den Grundstock des Niederdeutschen.
Thüringisch. In Thüringen,
im nordöstlichen Mittelraum zwischen den Herzogtümern Franken und
Sachsen wurde der thüringische Dialekt gesprochen. Er gehörte zur
mitteldeutschen Dialektgruppe.
Gliederung der deutschen Territorialdialekte (eine Übersicht):
Hochdeutsche
Territorialdialekte:
1.
Bairisch.
2.
Alemannisch.
3.
oberdeutsches Fränkisch:
a) Südfränkisch.
b) Ostfränkisch.
1.
mitteldeutsches Fränkisch:
a) Rheinfränkisch.
b) Mittelfränkisch.
2.
Thüringisch.
Niederdeutsche Territorialdialekte:
1.
Niederfränkisch.
2. Niedersächsisch
(im 10./11. Jh.).
Konsonantismus.
2. Lautverschiebung. Ausgehend
von den Elbgermanen fand eine Entwicklung statt, die für die Entstehung
der deutschen Sprache entscheidend ist: die zweite (oder althochdeutsche)
Lautverschiebung. Eine Ausbreitung von Süden nach Norden wurde lange
angenommen, jedoch ist (nach Schützeichel) diese Entwicklung an mehreren
voneinander unabhängigen Orten sowohl im elbgermanischen wie auch im
rheinisch-fränkischen Raum ausgegangen. Diese Lautverschiebung, besser:
Lautverschiebungen, fanden jedoch nicht in allen Gebieten mit gleicher
Ausprägung statt, so daß sich die Stammessprachen zwar gemeinsam
weiter- dennoch aber auseinanderentwickelten.
a)
Tenuesverschiebung:
postvokalisch [p, t, k] à [ff, ss, hh (=x)]: Plosiv à Doppelfrikativ
|
got. (lat.) |
altsächs. (engl.) |
ahd. |
mhd. |
nhd. |
a) t>z(z) |
|
|
gesamthd. (Benrather Linie) |
||
|
t |
t |
zz - z |
z(z) |
s(s) |
inlautend: |
|
||||
n. kurzem Vokal |
itan |
etan (to eat) |
ezzan |
ezzen |
essen |
n. langem Vokal |
beitan |
bîtan (to bite) |
bîzan |
bîzen |
beißen |
auslautend: |
ût |
ût(out) |
ûz |
ûz |
aus |
b) p>f(f) |
|
|
gesamthd. (Benrather Linie) |
||
|
p |
p |
ff - f |
f(f) |
f(f) |
inlautend: |
|
||||
n. kurzem Vokal |
- (piper) |
piper |
pfeffar |
pheffer |
pfeffer |
n. langem Vokal |
greipan |
grîpan (to gripe) |
grîf(f)an |
grîfen |
greifen |
auslautend: |
skip |
skip (ship) |
scif |
schif |
schiff |
c) k>hh |
|
|
gesamthd. (Benrather Linie) |
||
|
k |
k |
hh - h |
ch |
ch |
inlautend: |
brikan |
brekan (to break) |
brehhan |
brechen |
brechen |
auslautend: |
juk |
juk (joke) |
joh |
joch |
Joch |
initial,
vor Geminata, postkonsonantisch [p, t, k] à [pf, ts, kx]: Plosiv à Affrikate
|
got. (lat.) |
altsächs. (engl.) |
ahd. |
mhd. |
nhd. |
a) t> tz |
|
gesamthd. (Benrather Linie) |
|||
t |
t |
z (zz) |
z (tz) |
z (tz) |
|
anlautend: |
taîhum |
tehan (ten) |
zehan |
zehen |
zehn |
n. Kons.: |
haîrtô |
herta (heart) |
herza |
herze |
Herz |
Gemination: |
satjan |
settian (to set) |
sezzen |
setzen |
setzen |
b) p>pf |
|
oberdt.,
ostfränk. (Germersheim-Kassel-Linie) |
|||
p |
p |
pf (f) |
pf (f) |
pf (f) |
|
anlautend: |
(piper) |
piper (pepper) |
pheffar |
pfeffer |
Pfeffer |
|
plegan |
pflegan |
pflegen |
pflegen |
|
n. Kons.: |
(campus) |
|
champf |
kampf |
Kampf |
hilpan |
helpan (to help) |
helphan (auch
südrheinfränk.) |
|||
helfan |
helfen |
helfen |
|||
Gemination: |
|
appul (apple) |
aphel |
apfel |
Apfel |
skapjan |
skeppian (to scoop) |
skephen (st.v.) |
schepfen (schw.v.) |
schöpfen |
|
c) k>kch (kh) |
|
oberdt. (Germersheim-Nürnberg-Linie) |
|||
k |
k |
kch, ch |
k |
k |
|
anlautend: |
kaurn |
korn (corn) |
chorn |
korn |
Korn |
n. Kons.: |
|
werk (work) |
werch |
werk |
Werk |
Gemination: |
wakjan |
wekkian (to awake) |
wecchan |
wecken |
wecken |
Keine
Verschiebung bei [sp, st, sk, ft, ht, tr]
b) Medienverschiebung: [b, d, g] > [p,
t, k]:
|
got. (lat.) |
altsächs. (engl.) |
ahd. |
mhd. |
nhd. |
|
d>t dd>tt |
|
oberdt., ostfränk. (Germersheim-Kassel-Linie) |
||||
d |
d |
t |
t |
t |
||
daûr
biudan |
dor (door) biodan |
tor biotan |
tor bieten |
Tor bieten |
||
bidjan |
dd |
oberdt., ost-,
rheinfränk. |
||||
tt |
tt |
tt |
||||
biddian (to bid) |
bitten |
bitten |
bitten |
|||
b>p bb> pp |
|
oberdt.,
(Germersheim-Nürnberc-Linie), bes. bair. |
||||
b |
b |
p |
b |
b |
||
blôb |
blôd (blood) |
pluat |
bluot |
Blut |
||
sibja |
bb |
oberdt., ostfränk. |
pp |
|||
pp |
pp |
|||||
sibbia (sib) |
sippa |
sippe |
Sippe |
|||
g>
k gg>kk |
g |
g |
oberdt., bes. bair. |
g |
||
k |
g |
|||||
giban |
geban (to
give) |
keban (kepan) |
geben |
geben |
||
|
gg |
oberdt., teilweise
fränk. |
||||
kk - ck |
ck |
ck |
||||
hruggi (ridge) |
rucki |
rücke |
Rücken |
Im Oberdeutschen und Ostfränkischen erscheint <t> in allen Stellungen; im
Rheinfränkischen und Mittelfränkischen dagegen nur im Auslaut, das
Südrheinfränkische hat im Anlaut <d>,
sonst <t>; das
Rheinfränkische in der Gemination <tt>
und auch <dt>. Kennzeichen des
Rheinfränkschen ist also <d>
im Anlaut gegen ostfränkisch oberdeutsch /t/; Kennzeichen des Südrheinfränkischen ist anlautendes /d/.
c) Wandel [þ] > [d]; germ. *broþar > as. brothar
/ ahd. bruoder
Zu den Isoglossen der 2.
Lautverschiebung. Diese Konsonantenverschiebung ist die tiefgreifendste
Veränderung in der Geschichte der deutschen Sprache. Sie führt zu der
Herausbildung der verschiedenen Mundarten des Deutschen. Die Isoglossen der
diversen Veränderungen teilen den deutschen Sprachraum auf. Hauptlinie
dabei ist die „maken-machen“-Linie, die die Nordgrenze der 2. Lautverschiebung
markiert. Nördlich dieser Linie wird Niederdeutsch (bzw. wurde Altsächsisch)
gesprochen, südlich davon Hochdeutsch bzw. Althochdeutsch.
Diese Linie quert bei Benrath (nahe Düsseldorf) den Rhein. Deswegen wird
sie Benrather Linie genannt.
Das Hochdeutsche wird durch eine weitere Hauptlinie
unterteilt, welche die p>pf-Verschiebung
anzeigt. Sie wird nach dem Ort der Rheinüberquerung Speyrer Linie
genannt. Nördlich von ihr wird Mitteldeutsch gesprochen
(Westmitteldeutsch pund, Ostmitteldeutsch fund), südlich von
ihr Oberdeutsch (pfund).
Die k>kch-Verschiebung
fand nur im südalemannischen Bereich statt. („Kind-Kchind-Linie“).
Querschnitt durch das System der
Konsonantenphoneme des Althochdeutschen. Die zahlreichen Abstufungen der zweiten Lautverschiebung
von Süden nach Norden erschweren eine Gesamtdarstellung des
althochdeutschen Konsonantensystems. Hier wird der Konsonantenstand des
Ostfränkischen gegeben, der dem Konsonantenstand der Literatursprache am
nächsten steht.
Konsonantenphoneme
(Ostfränkisch):
stimmlose
Explosivlaute |
p |
t |
k |
kw |
|
stimmhafte
Explosivlaute |
b |
d |
g |
||
stimmlose
Frikativlaute |
f(ff) |
zz, |
s |
hh (ch) |
hw |
stimmhafte
Frikativlaute |
th |
(dh) |
|||
Affrikaten |
pf |
z [ts] |
|||
Faringale |
h |
||||
Liquiden |
l |
r |
|||
Nasale |
m |
n |
|||
Halbvokale |
w (gesprochen wie engl. water) |
Beispiele:
f (v) |
fater, vater 'Vater',
fogal, vogal 'Vogel'; |
p |
plâgen 'plagen',
spâti 'spät'; |
b |
berg 'Berg',
boum 'Baum'; |
pf (ph) |
pflanza, phlanza 'Pflanze',
apful, aphul 'Apfel'; |
th, dh |
ther, dher 'der',
thionôn, dionôn 'dienen'; |
t |
tiufi 'tief',
tôt 'tot'; |
d |
drî 'drei',
diot, thiot 'Volk'; |
z [ts] |
zît
.'Zeit', zuo 'zu'; |
s |
sunu, sun 'Sohn',
sunna 'Sonne'; |
z (zz) |
thaz 'das',
wazzer 'Wasser'; |
h (ch) [x] |
suohhen,
suochen 'suchen', sprehhan,
sprechan 'sprechen'; |
h [h] |
hano 'Hahn',
sehan 'sehen'; |
k (c, ch) |
klôstar 'Kloster'; |
g |
garto 'Garten',
weg 'Weg'; |
hw |
hwer, später
wer 'wer', hwîla, später wîla
'Zeit, Weile'; |
qu [kw] |
queman
'kommen', quedan 'sagen'; |
l |
lêren
'lehren', helfan 'helfen'; |
r |
regan 'Regen',
dorf 'Dorf'; |
m |
mîn 'mein',
kempfo 'Kämpfer'; |
n |
neman 'nehmen',
kind 'Kind'; |
w (uu, u) |
weg, uueg, ueg 'Weg',
zwîfalôn, zuuîfalôn 'zweifeln'; |
j (i) |
iâr,
jâr 'Jahr'. |
Die
graphischen Varianten k und c (akar, ackar, accar, acchar 'Acker'), f
und v (filu, vilu 'viel') sind durch
Nachahmung des lateinischen Schrifttums zu erklären; ebenso pf und ph (pfad, phad 'Pfad').
Auf die
Unsicherheit der orthographischen Regeln und auf den Mangel an Graphemen, die
dem althochdeutschen phonologischen System gerecht wären, sind Doppelschreibungen
wie th und dh, d (ther, dher, der 'der') zurückzuführen sowie die
Bezeichnung zweier verschiedener Phoneme mit einem Graphem, z.B. z (1. der Frikativlaut [s], der durch
Verschiebung von t> z (zz) entstanden
war: wazzar 'Wasser', thaz 'das'; zu Lehrzwecken wird z geschrieben; 2. die Affrikata [ts], die
auch infolge der Verschiebung von t>z entstanden
war, z.B. zît 'Zeit', herza 'Herz'); ähnlich h (1.
der stimmlose velare Frikativlaut [x]; intervokalisch wird später hh und ch geschrieben, z.B. suohhen,
suochen 'suchen'; 2. der faringale Laut [h], der nicht nur im Wortanlaut,
sondern auch am Anfang der Silbe im Wortinlaut vorkommt, z.B. hano 'Hahn', sehan 'sehen').
Graphische
Varianten sind auch: w und uu (u) bezeichnen den bilabialen Laut
wie engl. water, z.B. ahd. uuintar 'Winter', uueg 'Weg', uuerdan 'werden', uuerfan 'werfen'.
Die
langen Konsonanten werden durch Verdoppelung bezeichnet, z.B. betti 'Bett', liggen 'liegen', suohhen 'suchen'.
Geminationsarten
im Althochdeutschen.
Die westgermanische
Gemination. Unter westgerm. Gemination
versteht man die Verdoppelung eines Konsonanten durch unmittelbar
folgendes j, seltener auch durch w, r,
l, n, m. Von der Gemination durch
folgendes j sind alle einfachen
Konsonanten (außer r) betroffen, wenn ihnen ein kurzer Vokal
vorausgeht:
ahd. bitten, as. biddian (got. bidjan);
ahd. sezzen, as. settian (got. satjan);
bair. sippea, sippa, as. sibbia (got. sibja).
Im Ahd. ist, wie die Beispiele zeigen, das j schon geschwunden. Selten ist j
noch als e erhalten
geblieben. Da j als Ableitungs- und
Themasuffix sehr häufig vorkam, tritt in den mit j gebildeten Wörtern entsprechend oft Gemination auf, so auch bei den mask. und neutr. ja- und den
fem. jô-Stämmen:
mask. ahd. hrucki, rucki „der
Rücken“;
neutr. ahd. kunni (got. kuni, Gen. kunjis), „das Geschlecht“;
fem. ahd. hella (got. halja) „die
Hölle“.
Auch bei den Verben finden sich häufig j-Gemination.
Bei den st. Verben sind es die sog.
j-Präsentien, bei den sw. Verben die kurzsilbigen jan-Verben. Hier
zeigt das ahd. Konjugationssystem deutlich, wo einstmals ein j vorhanden war und wo nicht: ih
zellu, du zelis, er zelit, wir zellemês, ir zellet, sie zellent (ich zähle usw.).
Wie oben erwähnt, wurde das r
von der Gemination im Westgerm. nicht betroffen. (Im Ahd. gibt es
Ausnahmen.) Das hängt mit der Lautqualität des j zusammen: während es nach den übrigen Konsonanten
Halbvokal war, wurde es nach r wahrscheinlich zu einem weichen palatalen Frikativlaut
und blieb auch als solcher erhalten.
So stehen sich also ahd. zellen und nerien gegenüber (ahd. wird nie j geschrieben!). Häufig trat
hierbei eine Weiterentwicklung des j ein. Zu ahd. scara „Schar“ gehört das mask. Nomen agentis scerio, das sich zu scergo „Scherge“ weiterentwickelt
hat. Ebenso entstand auch das Wort Ferge aus
ahd. ferio < *farja.
Die
Gemination vor w, r, l, n, m ist viel
seltener als die j-Gemination. Es seien daher hier nur einige wenige Beispiele genannt. Vor r und l können die germ. Verschlußlaute p, t, k verdoppelt werden, z. B.
ahd. akkar - got. akrs, ahd. bittar - anord.
bitr, got. baitrs; ahd. aphul - westgerm.
*appla < germ. *apla.
Die Gemination vor w,
n und m hat fast keine Auswirkung
auf das Dt. gehabt.
Gemination durch Assimilation. Bereits im Urgerm. gibt es eine große Anzahl von Doppelkonsonanten;
besonders häufig sind ll, mm,
nn und ss. Diese Geminaten werden
meist als vorhistorische Assimilation erklärt, ln > ll, nw > nn. Da diese
Geminaten in allen germ. Sprachen in gleicher Weise auftreten, spricht man auch
von gemeingerm. Gemination. Hierzu gehören z.B. ahd. brinnan intr. „brennen“ und ahd. brennen „brennen
machen“, dem letzteren entspricht got. brannjan,
as. brennian. Beide Formen weisen
bereits Gemination auf, ein Beweis dafür, daß es sich um eine
gemeingerm. und nicht um eine westgerm. Gemination handelt. In der Konjugation
des Präs. bleibt die Gemination erhalten, z.B.: stellen, ih stellu, du stellis, er stellit.
Gemination durch Vokalausfall. Bisweilen
sind Doppelkonsonanten durch den Ausfall eines Vokals zwischen zwei gleichen
Konsonanten entstanden, z.B.: elilenti >
ellenti „anderes Land, Verbannung“, heêriro > hêrro „der Hehre, Ehrwürdige, der Herr“.
Sehr
häufig findet sich diese Erscheinung auch beim Prät. sw. Verben, z.B.
leitta < leitita „leitete“.
Gemination durch die ahd. Lautverschiebung.
In der ahd. Lautverschiebung sind aus den inlautenden p, t, k die Doppelfrikative ff, zz, hh geworden, z.B. ahd. offan, ëzzen (s. tabellarische
Übersicht oben).
Vereinfachung der Gemination. In
vielen Fällen ist geregelte Vereinfachung der Gemination anzutreffen, und
zwar im Auslaut der Wörter, z.B.: swimman - swam, kunnan - kan, und vor Konsonanten, z.B.: brennan - branta, kussen - kusta.
Diese
Vereinfachung erfolgte deshalb, weil der zweite Teil der Geminaten keine neue
Silbe zu eröffnen hatte. Oft erfolgte die Vereinfachung der Gemination
durch Analogie, besonders häufig in der Konjugation des Präs. Neben bitten, ich bittu (< *biddiu) steht du bitis, er bitit. Nach diesen beiden Formen können dann auch
der Inf. und die übrigen Formen gebildet werden.
Vokalismus
Kurze Vokale: a, ë, e, i, o, u:
a |
ahto 'acht', tag 'Tag'; |
ë (=germ. e) |
erda 'Erde', berg 'Berg'; |
e (umgelautetes a) |
alt - Komp. eltiro 'älter',
gast - Pl. gesti 'Gäste'; |
i |
ih 'ich', bintan 'binden'; |
o |
ofto 'oft', honag 'Honig'; |
u |
unsêr 'unser', turi 'Tür'. |
In den althochdeutschen Handschriften werden die beiden e-Laute
meistens nicht unterschieden, vgl. erda
(e) und gesti(e); doch ist
anzunehmen, daß das e geschlossener
gesprochen wurde als das ë, so
daß man sie als zwei verschiedene Phoneme betrachten soll. Neben der
Schreibung e sind für beide
Phoneme auch die Schreibung ae anzutreffen,
z.B. aerdha 'Erde', aerbio 'Erbe'.
Lange Vokale: â, ê, î, ô, û:
â |
âno
'ohne', slâfan
'schlafen'; |
ê |
êra
'Ehre', sêo
'See'; |
î |
îs 'Eis', mîn
'mein'; |
ô |
ôra
'Ohr', hôh
'hoch'; |
û |
ûf 'auf', tûba
'Taube'. |
Die Länge der Vokalphoneme wurde manchmal durch
Verdoppelung, z.B. gitaan 'getan', leeran 'lehren', durch den Zirkumflex
oder den Akut, z.B. gitân, lerân; gitán,
lerán wiedergegeben. Meist werden sie aber in den althochdeutschen
Handschriften überhaupt nicht angegeben.
Diphthonge: ei (ai), ou (au),iu, io (eo, ie), uo (ua,
oa), ia (ea, ie):
ei (ai) |
ein 'ein', heitar,
haitar 'heiter'; |
ou (au) |
ouga 'Auge', gilouben, chilauben 'glauben'; |
iu |
liut 'Volk', biugu '(ich)
biege'; |
io (eo, ie) |
diot,
deot, 'Volk', biogan, beogan, biegan 'biegen'; |
uo (ua, oa) |
guot,
guat 'gut', buoh, buah 'Buch'; |
ia (ea, ie) |
hiar,
hear, hier 'hier'. |
Kennzeichnend für die Diphtonge ist das
Vorhandensein graphischer Varianten.
Althochdeutsche Monophthongierung. Bei der Monophthongierung
und der Diphthongierung handelt es sich ebenfalls um qualitative
Veränderungen der Stammsilbenvokale. Sie werden jedoch nicht durch den
Vokal der Folgesilbe veranlaßt, wie das bei der Vokalharmonie und beim
Umlaut der Fall ist.
ai/ei zu ê. Die Monophthongierung des
germ. ai, ahd. meist schon ei, zu langem ê ist auf
wenige Fälle beschränkt, ei wird im Ahd. nur dann zu ê,
wenn h, r oder w folgt:
got. maiza – ahd. mero
'mehr'
au/ou zu ô. Germ. au, ahd.
meist ou, wird vor den Dentalen d, t, s, z, l, n, r und germ. h
zu ô monophthongiert.
Dieser Monophthongierungsvorgang hat sich im Ahd. besser durchgesetzt als der
vorhergenannte.
got. daupus – ahd. tôd 'Tod'
raups – rôt 'rot'
Im Sg. Prät. der st.
Verben der 2. Ablautreihe finden sich zahlreiche monophthongierte Formen:
kiosan – kôs 'wählen,
wählte'
ziohan – zôh 'ziehen, zog'
Die beiden Monophthongierungsvorgänge
laufen zwar von der Struktur her, aber nicht zeitlich parallel. Die Entwicklung
von ei zu ê beginnt bereits im 7. Jh. und ist im 8. Jh.
abgeschlossen, die von ou zu ô nimmt erst im 8. Jh. ihren
Anfang und ist im 9. Jh. beendet.
Althochdeutsche Diphthongierung. Germ.
ê zu ahd. ia. Im 8./9. Jh. wird germ. ê
im Ahd. zu ia aufgespalten. Seit der Mitte des 9. Jh. wird ia zu
ie. Diese Form herrscht dann auch während des Mhd. vor:
got. mizda – äs.
mêda ahd.
miata 'Lohn'
got. hêr ahd. hiar 'hier'
äs. hêt ahd. hiaz 'hieß'
Germ. ô
zu ahd. uo. Der Wandel von germ. ô > uo
zeigt sich in den ahd. Schriften des 8. und 9. Jh. Sein
unterschiedliches Vordringen ist ein Hilfsmittel bei der Lokalisierung und
Datierung von ahd. Werken. Um 900 hat sich diese Diphthongierung in allen
Dialekten durchgesetzt:
got.
fôtus ahd.
fuoz 'Fuß'
sôkjan suohhan 'suchen'
fôr fuor 'fuhr'
Die Diphthongierung
erfolgt nur in Stammsilben, also in hochtonigen Silben, die Nebensilben
behalten die alten Monophthonge (got. salbôda, ahd. salbôta
'salbte').
Umlaut. Der Umlaut beruht auf Assimilation. Durch i oder j der Folgesilbe erfolgt
eine Palatalisierung des Stammsilbenvokals. Der Umlaut ist jünger als die
Vokalharmonie; er ist im Ahd. seit dem 8. Jh. belegt, in anderen germ. Sprachen
dagegen schon früher. Umlaut erfolgt vor i oder j und
erfaßt sämtliche dunklen Vokale (a, o, u), in ahd. Zeit
jedoch nur das kurze a. Alle anderen umgelauteten Vokale werden erst in
mhd. Denkmälern faßbar.
Primärumlaut. Unter Primärumlaut
versteht man die Umwandlung von kurzem a zu e. Dieser
Umlautungsprozeß beginnt ca. um 750 und ist im 9. Jh. im wesentlichen
abgeschlossen. Er erfaßt auch die übrigen westgerm. Sprachen und das
Altnord.:
ahd. gast gesti 'Gast,
Gäste'
ahd. lang lengiro 'lang, länger'
ahd. trank trenken (aus *trankjan) 'trank,
tränken'
Umlaut erfolgt auch dann,
wenn ein mit i anlautendes Pronomen dem Stamm eng angeschlossen ist:
gab imo wird zu geh imo 'gab ihm'
warf iz – werf iz 'warf es'
nam ih – nem ih 'nahm ich'
In diesen Fällen ist
der Umlaut später wieder beseitigt worden. Unter bestimmten Bedingungen
konnte sich der Umlaut im Ahd. nicht durchsetzen. Man unterscheidet gesamtahd.
und obd. Umlauthinderungen.
a) Gesamtahd. Umlauthinderungen: Der Umlaut trat nicht ein, wenn:
1. das i oder j schon
geschwunden war, ehe die Umlautungsprozesse begannen;
2. die Silbe, die das i enthielt, einen stärkeren Nebenton trug
(kraftlih, irstant-nissi);
3. zwischen dem a-Vokal der Stammsilbe und dem i oder j der
Folgesilbe Konsonanten standen, die der Palatalisierung entgegenwirkten.
Solche
Konsonantenverbindungen waren:
ht mahti, nahti 'Mächte, der Nacht'
hs wahsit 'wächst'
Konsonant + w
garwita 'gerbte, bereitete'.
b) Obd.
Umlauthinderungen. Außer den gesamtahd. Umlauthinderungen hatte das Obd.
noch eine Reihe weiterer Umlauthinderungen aufzuweisen, die jedoch nicht
konsequent durchgeführt waren. Im allgemeinen trat der Umlaut nicht ein,
wenn auf die Stammsilbe folgende Konsonanten bzw. Konsonantenverbindungen
folgten:
1.
l + Konsonant: haltit, altiro 'hält,
älter'
2.
r + Konsonant: starchiro, arbi, warmen - aus *warmjan - 'stärker,
Erbe, wärmen'
3. germ. h: ahir, slahit 'Ähre,
schlägt'
4. ahd. h (germ. k): sachit, gimachida 'streitet,
Verbindung'.
Sekundärumlaut. Im Mhd. sind die gemeinahd. und zum Teil auch die obd.
Umlauthinderungen beseitigt worden, so daß seit dem 12. Jh. auch in
diesen Fällen Umlaut eingetreten ist. Er wird als Sekundärumlaut
bezeichnet und erscheint im allgemeinen als ä, also mähte,
nähte, wähset, gärwete, hält, älter usw. In mehrsilbigen
Wörtern kann i oder j der dritten Silbe den Stammvokal
ebenfalls umlauten, wenn vorher eine Angleichung der Mittelsilbe an die dritte
Silbe erfolgt ist. Dieser Umlaut hat sich aber im Ahd. nur in einigen
Wörtern (fremidi 'fremd', edili 'edel') durchgesetzt.
Rückumlaut. Das Verb trenken ist
von der Präteritumsform trank des
starken Verbs trinkan abgeleitet und
zeigt mit dem Vokal e gegenüber a in trank
Umlaut. Das Präteritum zu trenken
lautet aber trankta; trankta enthält
nicht den Bindevokal i. Nach langer
Wurzelsilbe ist der Bindevokal i im
Präteritum der jan-Verben ausgefallen, ehe er Umlaut bewirken
konnte. Das Nichteintreten des Umlauts im Präteritum langwurzliger jan-Verben
wird Rückumlaut genannt. Rückumlaut kommt im Ahd. in der Regel nur in
langwurzligen jan-Verben mit dem Wurzelvokal e im Infinitiv und im Präsens vor. Rückumlaut hat auch
das Präteritum dâhta zu denken.
Vokalharmonie
(sog. Brechung). Die hier behandelten Hebungs- und
Senkungsvorgänge werden auch unter den Termini kombinatorischer Lautwandel
oder Vokalassimilation zusammengefaßt. Es handelt sich jeweils um
Veränderungen der Stammsilbenvokale unter dem Einfluß der Vokale der
nachfolgenden Silben, also um eine regressive Assimilation, die wahrscheinlich
durch den germ. Anfangsakzent beeinflußt wurde.
ё zu i
Die Hebung des ё zu
i ist im Germ. sehr früh anzutreffen; das Got. z.B. hat ide. e zu
i umgewandelt. Das Westgerm hat diese Veränderung jedoch nicht
allgemein, sondern nur unter bestimmten Bedingungen durchgeführt. Ob die
Lautveränderungen im Got. mit denen im West- und Nordgerm. wirklich in
Zusammenhang zu bringen sind, läßt sich nicht mit Bestimmtheit
sagen.
ё wird zu i:
·
vor Nasal +Konsonant:
ide. *bhend- ahd. hintan 'binden'
lat. ventus ahd.
wint 'Wind'
·
vor einem i oder j in der Folgesilbe:
ahd. berg – gibirgi 'Berg, Gebirge'
erda – irdisk 'Erde, irdisch'
geban – er gibit 'geben, er gibt'
·
vor einem u in der Folgesilbe:
ide. *sedhus ahd. situ 'Sitte'
lat. securus ahd. sichûr 'sicher'
ahd. geban ahd. ih gibu 'ich gebe'
i zu ё
Bereits in
vorliterarischer Zeit wurde das i zu ё gesenkt, wenn in der Folgesilbe
die Vokale a, e oder o standen:
äs.
wika ahd. wёhha
'Woche'
lat.
bicarium ahd. bёhhâri
'Becher'
ide.
*uiros ahd. wёr 'Mann'
Die Senkung von i zu
e vollzog sich aber nicht regelmäßig. So haben z.B. alle
Part. Prät. der 1. Ablautreihe das i erhalten, obwohl a in
der Folgesilbe stand:
gigriffan, giritan 'gegriffen, geritten'
u zu o
Das u wird zu o gesenkt
vor a, e oder o der Folgesilbe:
ide. *jugom ahd. joch 'Joch'
germ. *gulpa ahd. gold 'Gold'
Vor nachfolgenden i,
j, u oder Nasal + Konsonant bleibt u aber erhalten (kuri 'Prüfung',
sunu 'Sohn', zunga, gibuntan 'Zunge, gebunden').
Nasalschwund mit Ersatzdehnung. Schon im
Germanischen – wie auch später – ist in manchen Verbindungen, besonders
vor Reibelauten, der Nasal geschwunden. Die für den Nasal gebrauchte
Energie bleibt jedoch erhalten, indem der vorangehende Vokal zunächst
nasaliert und dann gedehnt wird, daher „Ersatzdehnung“:
germ. *þanhto > ahd. dâhta
('dachte'); *þunhto > dûhta ('dünkte'), *sinh-
> sîhan ('seihen'); mhd. denken : dâhte,
bringen : brâhte.